Alles heiße Luft
Juli 2010 | zitty Modebuch: In den letzten Jahren wurde Berlin zur neuen Modemetropole ausgerufen, aber viele der hochgelobten Designer haben schon wieder aufgegeben. Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit der Modeszene
Was für Nachrichten waren das, die uns in der letzten Zeit aus der Berliner Modebranche erreichten: Unrath & Strano insolvent, Macqua insolvent, die Designerin Zerlina von dem Bussche verlässt ihr eigenes Label Sisi Wasabi im Streit mit ihrem Investor, von Wedel & Tiedecken aufgelöst, Pulver verpulverisiert… Steht das große Designersterben an? Oder befinden wir uns schon mittendrin? Und überhaupt: Lässt sich mit Mode in Berlin nun eigentlich Geld verdienen oder ist das Ausrufen der neuen Modemetropole nur heiße Luft?
Versucht man die zu erreichen, die zum Thema etwas zu sagen haben müssten, nämlich die Verantwortlichen von Unrath & Strano, Macqua und Sisi Wasabi, erhält man als Antwort: Gar nichts. Weder die Designer, noch der Investor Markus Höfels oder Mitarbeiter der Icon Fashion Group sind zu Gesprächen bereit. Über die Verträge und die daran geknüpften Forderungen und Erwartungen ist wenig bekannt, was man lediglich weiß, ist, dass sämtliche unternehmerischen Aktivitäten der Icon Fashion Group auf Eis gelegt sind.
Markus Höfels, der Mann aus New York, der als Mitgründer für den Senkrechtstart des amerikanischen Trend-Labels Proenza Schouler mitverantwortlich war, kam Juli 2007 nach Berlin, um mit Michael Michalsky ein Modeimperium aufzubauen. »Klein anzufangen, macht keinen Sinn für uns«, waren Höfels Worte auf der damaligen Pressekonferenz. Die beiden überwarfen sich schnell, dennoch erhielt Höfels den Ruf des Wohltäters der Berliner Modeszene, als er ein Jahr später als Investor bei dem angeschlagenen Label Macqua einstieg. Genauso schnell war er diesen dann allerdings auch wieder los. Auf einmal galt er als Unglücksrabe, als Hochstapler, der die jungen Modeunternehmen in den Ruin stürzt.
Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, aber eines ist deutlich: Der Aspekt der Wirtschaftlichkeit der jungen Modeszene verlangt mehr Aufklärung. Schließlich geht es hier um die Lebensträume einer ganzen Menge junger Leute. Allen voran die 400 bis 500 Absolventen, die jährlich aus den Berliner Modeschulen in Richtung Modebranche strömen. Nicht alle Absolventen planen, sich nach Studienabschluss als Designer selbstständig zu machen, 30 bis 40 Prozent erhalten feste Stellen – im Einzelhandel, PR, Journalismus, andere wiederum spezialisieren sich auf Styling oder weitere Tätigkeiten, die in der Modebranche anfallen. Und trotzdem bleiben am Ende eine ganze Menge übrig, die davon träumen, »der nächste John Galliano zu werden«, wie Kostas Murkudis sagt.
Der Designer, der bekannt ist für seine avantgardistischen Entwürfe, war bereits an einigen Universitäten als Gastdozent tätig. Er sieht in den neun in Berlin ansässigen Schulen auch kleine Wirtschaftsunternehmen, die »den Traum von Rampenlicht und Blitzlichtgewitter gnadenlos ausnutzen«. Stünde er noch mal am Anfang, würde er es wieder so machen wie damals 1986: Ein Praktikum in einem großen Unternehmen suchen, die Klappe halten, zuhören, aufsaugen, ausprobieren – und so den Branchenalltag kennen lernen: »Denn der ist weit weniger glamourös als die meisten sich ihn vorstellen.« In Berlin wundert sich Murkudis oft über die Coolness der jungen Leute und über deren Selbstwahrnehmung: »Viele glauben, nur weil ihr Umfeld mag, was sie tun, besäßen sie das Potenzial zum Star-Designer. Um sich im internationalen Modedschungel nachhaltig durchzusetzen, braucht es allerdings ein bisschen mehr.«
Er spricht von einem Heer von Millionen an Ameisen, das nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus China, Japan, Russland, Korea, Frankreich, Belgien und den USA in die Modeindustrie drängt und er spricht davon, dass dies nicht mehr die 90er seien und dass es heute viel schwieriger sei, sich eine eigene Handschrift zu sichern. Mit seiner Meinung ist er nicht allein. Der in Antwerpen lebende Modedesigner und Dozent der Berliner Universität der Künste, Stephan Schneider, staunt über das geringe Interesse der Studenten an essentiellen, in den Augen der Schüler allerdings als uncool geltenden Dingen, wie Vertriebsstrategien, Marketing und Produktion. In Belgien sei das nicht möglich. Dort käme keiner auf die Idee, eine Kollektion ohne Vertriebsexperten herauszubringen.
Ein Standortproblem also? Ist Berlin mit seinen geringen Lebenshaltungskosten schuld am mangelnden wirtschaftlichen Erfolg? Einerseits ja, andererseits nein. So sieht es jedenfalls Tanja Mühlhans. Die Referentin für Kreativwirtschaft des Berliner Senats sagt: »Eine gewisse Fluktuation ist normal. Natürlich haben sich ein paar Designer mit dem Thema Finanzen schlicht zu wenig beschäftigt, aber man sollte vorsichtig sein, das als Standortproblem zu deklarieren. Es steht außer Frage, dass in den letzten Jahren eine Professionalisierung stattgefunden hat. Heute sehen sich eine Reihe von Modelabels eher als Unternehmer als als Modeschöpfer.« Und dann verweist Mühlhans auf einen weiteren Aspekt: »Es ist auch ein Deutschland-Problem. Hierzulande wird Mode zu häufig nur mit Glamour und rotem Teppich assoziiert, aber von einer Anerkennung der Modebranche als Kulturgut – wie etwa in Frankreich oder Italien – sind wir noch weit entfernt.« Die Diskussion um den Bebelplatz als Austragungsort der Berlin Fashion Week beweist das. Denn wenn beispielsweise Daniel Barenboim an dem historischen Ort die Staatskapelle dirigiert, werden keine kritischen Stimmen laut, das Denkmal der Bücherverbrennung werde verdeckt.
Doch Tanja Mühlhans bleibt optimistisch. Immer wieder ruft sie in Erinnerung, dass eigentlich erst 2003 mit den Messen Premium und Bread & Butter eine Modeszene in Berlin entstand. Ein zartes Pflänzchen also immer noch, das für die Kürze der Zeit ziemlich hoch gewachsen ist – und das gleichzeitig, wie in Skandinavien, Österreich oder England üblich, mehr kultureller Anerkennung und finanzieller Unterstützung vonseiten des Staates und der Industrie bedarf.
»In Großbritannien gibt es das British Fashion Council seit 1983. Es wird von der Industrie jedes Jahr mit einigen Millionen ausgestattet. Dort sitzen fünfzehn bis zwanzig Leute, die Maßnahmen für die Modebranche koordinieren. Was die Ressourcen finanzieller und personeller Art angeht, sind wir in Berlin deutlich schwächer aufgestellt. Darüber täuscht dann vielleicht das Engagement der Beteiligten hinweg«, sagt Mühlhans. Es ist eine Tatsache, auf die sich alle einigen können: Das kreative Potenzial ist da, das Geld, die Unterstützung und vielleicht auch der Ehrgeiz, dieses Potenzial international relevant zu machen, daran mangelt es noch. Und so lange man da nicht ein paar Schritte weiter ist, setzt sich Mühlhans für Hilfe zur Selbsthilfe ein.
Da junge Modedesigner heute nicht nur Künstler und Marketingprofi sein müssen, sondern auch Produktions- und Vertriebsexperte, Betriebswirt und Schnittprofi, lieferte sie den Ansporn, sich diese Eigenschaften anzueignen. Sie initiierte den Nachwuchswettbewerb »Start your fashion business«. 25.000 Euro plus professionelle Unterstützung in der Gründungs- und Aufbauphase, für denjenigen, der die beste Kollektion und den besten Businessplan einreicht. Damit setzt sie an, wo andere Ausschreibungen aufhören, nämlich nach der Auszeichnung, wenn es ans Betriebswirtschaftliche geht. Und damit übt Mühlhans Druck aus: Die Schüler sollen erkennen, dass die Möglichkeit vorbeizieht, wenn sie nicht lernen, wie man einen anständigen Business-Plan schreibt.
Dieser Druck plus die Tatsache, dass es einige, richtig gute Labels nicht mehr gibt, haben einige Schüler bereits sensibilisiert: Sie fordern entsprechende Kurse. Erste Schulen wie die Universität der Künste reagieren schon. Erstmals werden dort Workshops zu Vertrieb und anderen betriebswirtschaftlichen Fragen angeboten. Doch damit nicht genug, Tanja Mühlhans will erreichen, dass sich die Schüler alle wichtigen Fragen stellen: Wovon werde ich leben? Sollte ich mich mit jemandem zusammentun, um Kosten und Arbeitsaufwand zu teilen? Welche gut funktionierenden Accessoires werde ich produzieren? Gibt es mögliche Nebenlinien, die alles andere mitfinanzieren? Verstehe ich mich als Unternehmer? Wie groß wird meine Zielgruppe sein und wie viel kann ich tatsächlich verkaufen?
Fragen, die bei Unrath & Strano vielleicht zu wenig Beachtung fanden. Die Marke setzte auf Abendroben für mehrere tausend Euro, erwirtschaftete aber im letzten Jahr nur noch 40.000 Euro Umsatz. Wo ist da das Geschäftsmodell, wenn die, die über den roten Teppich schlendern, sprich die potenziellen Kunden, alles umsonst haben wollen? Spricht man die jungen Designer auf die Negativschlagzeilen der letzten Monate an, reagieren manche besorgt. Nicht der Insolvenzen wegen, sondern weil sie sich fragen, welche Außenwirkung das Beispiel Icon Fashion Group auf andere Investoren haben mag.
»Keine«, sagt Volker Tietgens. Der Mann, der vor ein paar Jahren einiges an Geld mit einer Internetfirma machte, ist heute Investor bei Kaviar Gauche und Michalsky. Er glaubt nicht, dass die Geschehnisse rund um Markus Höfels andere Geldgeber verschrecken: »Allerdings gibt es generell nicht viele, die in Mode investieren. Den meisten mangelt es an der Geduld, die man mitbringen muss.« Das schnelle Geld sei in der Branche nun mal nicht zu machen. Er selbst stattet Michalsky und Kaviar Gauche zunächst über einen Zeitraum von fünf Jahren mit Geld aus. Dann, so hofft er, tragen sich die Labels ohne seine Hilfe. »Wenn nicht, sieht man weiter«. Denn für ihn steht außer Frage, dass das, was die Berliner Branche braucht, vor allem Zeit sei, Zeit sich zu etablieren, »vielleicht ist auch die Erwartungshaltung der Beobachter zu groß«, sagt er. Und die Stadt müsse als Wirtschaftsstandort interessanter werden – nicht nur für die Modeindustrie, sondern allgemein. Je mehr große Unternehmen, desto mehr Gutverdienende, desto mehr Kaufkraft. Denn so lange die fehlt, fehlt dem Einzelhandel der Mut, auf junge, relativ unbekannte Designer zu setzen.
Ob es an Volker Tietgens liegt, dass gerade Kaviar Gauche und Michalsky zu den wenigen Berliner Modeunternehmen gehören, die eine immer wichtiger werdende Geldquelle für sich entdeckt haben? Das Stichwort lautet: Kooperationen. Den Kick-Off dazu lieferte das britische Textilunternehmen Topshop 2002. Seitdem fördert es zusammen mit dem British Fashion Council den Modenachwuchs wie Christopher Kane oder Danielle Scutt und arbeitet mit Stardesignern wie dem verstorbenen Stardesigner Alexander McQueen und Matthew Williamson zusammen. H&M folgte 2004. Da entwarf Karl Lagerfeld für das schwedische Unternehmen. Es folgten Stella McCartney, Viktor & Rolf, Commes des Garcons, Roberto Cavalli. Mittlerweile gilt es als en vogue, wenn ein Textilunternehmen kurzzeitig große Namen ködert. Für die Designer ein gutes Geschäft, wie Johanna Kühl und Alexandra Fischer-Rohler von Kaviar Gauche wissen: Die Kooperation mit dem Schuhunternehmen Görtz ist eine feste Geldquelle mit der sich zu finanziell unsicheren Zeiten wie diesen besser planen lässt. Und sie ist eine Möglichkeit Dinge zu tun, wofür sonst die Produktions- und Vertriebsstrukturen fehlen. »Schon immer wollten wir die Schuhe, die wir für unsere Schauen machen, auch für den Verkauf produzieren«, sagt Johanna Kühl. Görtz macht’s jetzt möglich.
Was für Kaviar Gauche ein Zusatzverdienst ist, macht bei der Michalsky- Holding die Hälfte des Umsatzes aus. Ob Taschen für MCM, Notebooks für einen Elektronikkonzern, eine Kollektion für den chinesischen Sportartikelhersteller Dongxiang, Werbung für Waschmittel, einen Paketdienst, was auch immer, Michael Michalsky kann alles. Verbucht werden diese Geschäfte als Designservices, die er neben der Michalsky-, sowie der Michalsky-Jeans-Kollektion anbietet. Sein Investor Tietgens sagt dazu schlicht: »Er weiß, was er kann und was zu ihm passt.« Und deswegen redet er ihm in diese Angelegenheiten auch nicht hinein. Seine Umtriebigkeit hat Michalsky schon den Ruf des Popstars der Designerszene beschert, manche bezeichnen ihn als Marketingbombe, die vor allem Verpackung ist – und wenig Inhalt. Aber wen schert der Inhalt, wenn die Verpackung funktioniert?
Und nicht nur Tietgens Zöglinge setzen auf das Kooperationsmodell: Alt-Meister Wolfgang Joop macht neuerdings auch Kompressionsstrümpfe – in Zusammenarbeit mit dem Sanitätsfachunternehmen medi, während Kostas Murkudis schon länger als Experte der Sonderkollektionen gilt: zu seinem Portfolio gehören Arbeiten für den italienischen Taschenhersteller Coccinelle, das Schuhunternehmen Flip Flop, die Unterwäschemarke Schiesser, das Kaschmirlabel Johnston.
Es gibt also einige Modemacher in Berlin, die finanziell ganz gut dastehen. Und dazu gehören nicht nur die, bei denen ein Geldgeber im Hintergrund sitzt. Auch andere Marken finden ihren Weg. Und genau das ist es, was Berlin reizvoll macht: Es gibt eine Existenzmöglichkeit – auch ohne den ganz großen Designerstatus. »Alles eine Frage des persönlichen Anspruchs«, sagt Therese Pfeil von Pulver, einem hoch gelobten Label, das sich 2009 auflöste. Sie und ihre Kolleginnen möchten nämlich weitermachen, mit einem kleinen Laden in Kreuzberg. Nicht mehr nach Paris müssen, auf die großen Messen und Schauen, sondern einfach hier bleiben. Dass sie Pulver vor einem Jahr auflösten, lag nicht an einem finanziellen Exodus, sondern an privaten Gründen. Und was die letzte Auflösungsmeldung aus Berlin betrifft, die des Labels für den großen Auftritt – Scherer Gonzales – weiß man nur, dass Designerin Constanze G Gonzales jetzt Zahnmedizin studiert.
07.2010 | zitty Modebuch
Foto: Kaviar Gauche