Franziska Klün

Ich bin ein Ledermann

Januar 2014 | JNC News: Als Kind schlief er auf dem gestapelten Leder in der Fabrik seiner Eltern, heute ist er für seine Freunde nur Il Pellaio, der Ledermann. Andrea Bra führt zusammen mit seinem kalifornischen Kompagnon Zip Stevenson das Unternehmen Hollywood Trading Company. Wir haben ihn in seiner Fabrik bei Verona besucht.

„Oben wird inspiriert, unten wird gefertigt“, sagt Andrea Bra. So laute die Regel in der Fabrik seiner LCB Company. Nur wenige Minuten Autofahrt von Verona entfernt, werden hier nicht nur die berühmten Nietengürtel und Lederjacken der Hollywood Trading Company gefertigt, sondern auch Lederaccessoires für andere Firmen. In dem zweistöckigen Gebäude sitzt unten das Handwerk und oben das Archiv. Und Letzteres kann sich sehen lassen. Hätte Andrea Bra die Zeit, könnte er wohl stundenlang von den Gürteln, Taschen, Schuhen und Jacken erzählen, die sich hier stapeln. Bei weitem nicht alles ist hier entstanden. Der Großteil stammt von den Flohmärkten und Vintage-Läden dieser Welt.

Herr Bra, Sie sind mit Leder und Accessoires groß geworden. 1972 gründete Ihr Vater die LCB Company, eine Manufaktur für Lederwaren. 1988 stiegen Sie mit ein. War Ihr Weg vorgegeben?

Ich bin ein Ledermann durch und durch! Meine Freunde nennen mich auch so: „Pellaio“. Ich liebe Vintage-Kleidung, seit ich denken kann. An Leder mag ich, dass es unperfekt ist. Perfektion und ich funktionieren nicht so gut miteinander. Aber das war nicht von Anfang an klar. Als ich 1988 bei meinem Vater einstieg, war ich noch jung, es war mein erster Job. Ich wollte Vintage neu erfinden, es wieder aufleben lassen und im Grunde das machen, was ich auch heute mit HTC tue. Aber kurze Zeit später habe ich angefangen, Wirtschaft zu studieren. Ich wollte ins Ausland.

Doch Ihr Vater funkte dazwischen.

Er war müde und wollte aussteigen. Und ich stand plötzlich vor der Wahl: Manufaktur oder Studium. Ich entschied mich für die Manufaktur.

Ein schwerer Schritt?

Es fiel mir vor allem schwer, weil ich dachte, ich würde mich damit gegen das Ausland entscheiden. Ich sah mich schon mein Leben lang in unserer Fabrik in der norditalienischen Provinz stehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich dieser Job einmal als mein Reiseticket in die weite Welt entpuppen würde. Heute bin ich ständig in New York, in Los Angeles, ich verbringe viel Zeit in Paris.

Warum wollten Sie unbedingt wegziehen?

Als Jugendlicher war ich einige Male nach Paris und London gereist. Als ich Anfang der 80er erstmals die King’s Road entlanglief, verstand ich die Welt nicht mehr: Diese Punks, wie die aussahen! So etwas kannte ich nicht. Ich fand es faszinierend. Ich wollte mehr davon.

Heute gelten Sie nicht nur als Ledermann, sondern auch als Vintage-Experte. Genau wie Ihr amerikanischer Partner Zip Stevenson. Wie haben Sie beide sich gefunden?

Ich glaube stark an Netzwerke und Freunde. Ein Bekannter sagte, ich sollte Zip mal treffen. Als ich dann in Kalifornien war, fuhr ich zu ihm und er stand da mit einem Foto von einer unserer Taschen in der Hand. Er fragte: „Sind Sie Herr Bra? Haben Sie das hier gemacht?“ Ich nickte und fragte, warum er das wissen wolle. Er antwortete: „Weil ich auf Sie gewartet habe.“

Er war auf der Suche nach jemandem wie Ihnen?

Absolut. Er brauchte jemanden, der das Europa-Geschäft für HTC in die Hand nimmt.

Heute leiten Sie Stevensons Unternehmen gemeinsam mit ihm. Wie macht man das – bei einer räumlichen Distanz von etwa 10.000 Kilometern?

Es ist schwer zu sagen, wer von uns Creative Director ist. Wir telefonieren ständig, er erzählt mir, was er entdeckt hat, und ich ihm, was ich so suche. Es ist ein gemeinsamer Entwicklungsprozess. Er gräbt die Schätze aus und ich mache daraus eine Kollektion.

„Ich kann mit verbundenen Augen die verschiedenen Leder an ihrem Geruch erkennen.“

Was fasziniert Sie an Vintage-Kleidung?

Das Handwerk der Vergangenheit hat es mir angetan. Wie man die Sachen früher hergestellt hat. Nicht nur in Italien, auch in Frankreich, wo es Firmen wie Hermès gibt. Als kleiner Junge schlief ich immer auf dem gestapelten Leder in der Fabrik, gemeinsam mit unseren Hunden. Ich wartete darauf, dass meine Eltern mit der Arbeit fertig wurden. Oft war es zehn, elf Uhr abends, wenn wir heimgingen. Das Material war meine Welt. Heute kann ich mit verbundenen Augen die verschiedenen Leder an ihrem Geruch erkennen.

Gibt es auch schlecht riechendes Leder?

Oh ja. Es gibt Gerbereien, da wird einem übel, wenn man nur davorsteht.

Woran erkennt man hochwertiges Leder?

Man könnte meinen, am Preis, aber das stimmt nicht. Die Leute glauben oft, dass die besonders großen Namen auch gutes Leder verwenden, aber auch das ist nicht unbedingt wahr. Gutes Leder darf nicht perfekt sein. Wenn man damit in den Regen kommt, hinterlässt das Wasser Spuren. Bei HTC wollen wir nicht mit zu vielen Schutzmitteln arbeiten, so wie das einige Marken tun. Es gibt Leder, da kann man Benzin drüberschütten und nichts passiert – für mich ist das nichts.

Und wie kann ich das im Geschäft herausfinden?

Nehmen wir Ihre Lederjacke. Der Geruch und wie sie sich anfühlt – da weiß ich, das Material ist gut.

Ich rieche gar nichts.

Reiben Sie dran. Das Leder muss sich dabei ein bisschen verändern. Das ist ein gutes Zeichen.

Sie sagen immer wieder, es sei die Welt der amerikanischen Motorrad-Szene der 70er, die Sie so inspiriert. Was ist so spannend daran?

Die Qualität der Dinge, die in der Zeit entstanden sind, ist einzigartig: die handgemachten Stiefel, die Jacken, die Gürtel sind der Wahnsinn.

Was an Ihrem persönlichen Stil ist amerikanisch und was italienisch?

Das kann man nicht trennen. Ich bin mehr von Marken und Unternehmen beeinflusst als von Ländern. Zum Beispiel Harley Davidson, Ducati, aber auch Zero Engineering.

Sie haben einmal gesagt, Ihre Jacken sollen Motorradfahrer bis zu einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern schützen. Vor was, und was passiert, wenn man 110 fährt?

Habe ich das gesagt? Das ist ja ganz großer Quatsch! Die meisten, die unsere Sachen auf der Maschine tragen, fahren sowieso nicht besonders schnell. Da geht es mehr um den Sound des Motors, um das Vergnügen. Nicht unbedingt um Geschwindigkeit. Ich trage kein HTC, wenn ich schnell fahre.

„Verdammtes Leben, ein paar Sachen möchte ich ja schon noch mit dir machen.“

Was ist schnell für Sie?

Alles ab 120 Stundenkilometern.

Wie viele Motorräder besitzen Sie?

Drei oder vier. Ich liebe es zu fahren, aber ich tue es kaum.

Warum nicht?

Weil ich die Kontrolle über mich verliere, wenn ich unterwegs bin. Ich vergesse alles, fahre zu schnell. Zu oft darf ich das nicht machen.

Fahren Sie vorsichtiger, seit Sie Vater sind?

Nicht unbedingt. Nur seltener. Ich hatte selbst nie einen schlimmen Unfall, aber Freunde von mir sind gestorben. Wenn man so etwas erlebt, denkt man nur: Verdammtes Leben, ein paar Sachen möchte ich ja schon noch mit dir machen.

Aber aufhören wollten Sie nie?

Niemals! So ist es perfekt, ich fahre weniger, das passt. Manche Freunde von mir sind um die 70 und fahren immer noch. So werde ich das auch machen.

Der beste Drink nach einer langen Motorrad-Tour?

Für mich immer Southern Comfort.

Auf Eis?

Nur wenn ich danach noch ausgehe, sonst pur.

David Beckham, Karl Lagerfeld, Iggy Pop, Madonna – sie alle tragen HTC. Wie stolz macht Sie das?

Sehr stolz! Natürlich! Vor allem, wenn man es durch Zufall entdeckt und gar nichts damit zu tun hatte.

Ihr Facebook-Foto zeigt Sie gemeinsam mit Iggy Pop in irgendeinem Club. Es sieht aus, als hätten Sie eine gute Zeit zusammen gehabt.

Oh ja! Wir haben viele Fotos gemacht. Ein Freund hat uns einander vorgestellt. Wir waren essen, es wurde getrunken. Es geht bei solchen Treffen aber nicht unbedingt um HTC. Als Herr Lagerfeld in Mailand in einem Geschäft eines Freundes von mir viel eingekauft hat, rief der mich im Anschluss an und erzählte mir das. Klar, das freut einen. Aber wenn ich Lagerfeld treffe, spreche ich ihn nicht darauf an, dass er meine Sachen trägt. Selbst dann nicht, wenn er in unseren Stiefeln vor mir steht. Doch aus all diesen Begegnungen werden am Ende Geschichten, an die man sich gerne erinnert.

An welche erinnern Sie sich am liebsten?

Da gibt es einige! Einmal war ich in London, irgendeine Elton-John-Nacht mit vielen spannenden Gästen, De Niro war da und zahlreiche Models. Ich fing an mit einer sehr hübschen Dame zu plaudern, wir standen draußen und rauchten, quatschten, setzten uns rein, quatschten noch mehr. Als wären wir alte Freunde. Dann sagte ein Freund: „Kennst Du Uma schon lange?“ Ich hatte Uma Thurman überhaupt nicht erkannt. Eine so unaufgeregte, sympathische Person! Irgendwann zeigte ich ihr dann, was wir so machen. Besser kann man an Leute gar nicht herantreten.

Sie mögen das Nachtleben, gute Drinks und gute Musik. Was ist Ihnen wichtiger: Arbeit oder Freizeit?

Das kommt auf meine Laune an. HTC ist meine Leidenschaft und mein Leben. Ich stehe jeden Morgen um 4.30 Uhr auf, dann habe ich bis um sechs Uhr Zeit, über die nächste Kollektion nachzudenken. Aber ich gehe auch gern aus. Dann geht es mir aber nicht ums Feiern an sich, sondern um die Qualität der Musik.

Sie selbst legen auch auf.

Ich sage immer: Mode ist mein Job, Musik ist mein Hobby. Meinen Job mache ich, das andere versuche ich.

Was für Musik versuchen Sie dann aufzulegen? Italo Disco?

In Deutschland wollen sie immer Italo Disco, und wenn es der richtige Abend ist, warum nicht? Ich spiele auch Nina Hagen, wenn es passt. Aber meistens bin ich mehr für Rock, von Lurie bis zu den Black Keys, funky Zeug aus den 60ern, Deep House.

Und wenn sich Ihre deutschen Gäste einen Song von Paolo Conte oder Eros Ramazzotti wünschen?

Ramazotti wäre gefährlich … Paolo Conte ist fantastisch! Ich spiele aber nur Vinyl.

„Ich besitze um die 15.000 Platten, jede Woche kommen weitere 100 dazu.“

Wie groß ist Ihre Sammlung?

Über 15.000 Platten, jede Woche kommen 100 weitere dazu.

Wie archivieren Sie die?

Es ist das totale Chaos. Jeden Morgen von sechs bis sieben höre ich mir neue Platten an, und packe alles aus. Wenn ich viel zu tun habe, wie jetzt gerade, habe ich jemanden, der das für mich macht und mir erzählt, was es so Neues in meiner Sammlung gibt.

Was haben Sie heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit gehört?

Tiefschwarz.

Das müssen Sie nicht sagen, um uns Berlinern zu schmeicheln.

Es stimmt aber! Ich liebe Tiefschwarz.

Ihr erstes Album?

Kraftwerk.

Singen Sie auch laut mit, wenn Sie Musik hören?

Natürlich! Zum Beispiel Patty Pravo – fantastisch! Oder Blue (Da Be Dee) von Eiffel 65.

Müssen Sie auf jeder Party Ihrer Freunde auflegen?

Das mache ich supergerne, auch auf HTC-Veranstaltungen. Ich will kein Geld damit verdienen. Was ich nicht mehr gerne mache, ist in Clubs bis um fünf Uhr morgens zu stehen, an Orten wie Barcelona oder Ibiza. Letzte Woche habe ich vor 1.000 Leuten in Mailand gespielt. Am Ende einer solchen Nacht bin ich nicht besonders glücklich.

Warum nicht?

Es gibt für mich keinen Grund mehr, dort zu stehen. Ich spiele gerne zu Aperitif-Zeiten, von 21 Uhr bis Mitternacht oder so. Alles andere funktioniert nicht mehr für mich. Das ist zu weit weg von mir.

Andrea Bra ist der kreative Kopf hinter der Marke HTC Hollywood Trading Company und Besitzer der LCB Company in Verona. Zusammen mit seinem amerikanischen Partner Zip Stevenson entwirft er seit zehn Jahren Stiefel, Gürtel und Jacken aus Leder und Nieten. Er liebt Musik und Motoren und lebt mit Frau und Kindern in Verona.

JNC News | Januar 2014