Franziska Klün

Berlin wird austauschbar

September 2012 | zitty: Melissa Drier ist 60 Jahre alt und gilt als wichtigste Modejournalistin Deutschlands. Sie verstand selbst nicht recht, warum sie Mitte der 80er von New York nach Berlin zog, um hier über Mode zu berichten, die es im Grunde nicht gab. Hier spricht sie über Glamour, Donatella-Versace-Kopien und ihren Hang zum Gartenzwerg-Outfit

Frau Drier, seit rund 27 Jahren arbeiten Sie als Berlin-Korrespondentin der weltweit wichtigsten Modefachzeitschrift „Women’s Wear Daily“. Kürzlich sagten Sie in einem Interview, die Stadt habe ihren Zauber verloren. Was ist passiert?

Ich mochte an Berlin immer das Kantige, das Graue, das Düstere, aber auch das Grüne. Das hat für mich das Leuchten der Stadt definiert. Berlin leuchtet noch immer, aber auf eine
sehr konventionelle Art. Ich fühle diese New-York-Schwingungen. Die beunruhigen mich.

Seit wann sind Sie beunruhigt?

Seit zwei Jahren. Nach dem Mauerfall änderte sich Berlin über Nacht. Damals schrieb ich lieber über die Gentrifizierung der Stadt als über die Mode. Und das war 1991. Schauen wir uns um, Sie können sich vorstellen, wie es sich heute anfühlt. Berlin ist gerade dabei, austauschbar zu werden.

Was meinen Sie?

Die Menschen sind mehr damit beschäftigt, Dinge zu konsumieren als Dinge zu kreieren. Zum Beispiel der Hackesche Markt. Nach der ersten Renovierung erinnerten die Höfe zwar an Disneyland, aber es eröffneten auch interessante Geschäfte – alles war gut. Nur wenn der fünfzehnte Jeansladen neben dem fünfzehnten Flagshipstore einer Marke eröffnet, die überall auf der Welt erhältlich ist, dann gibt es ein Problem.

Sind die Veränderungen auch eine Chance für Berlin, doch noch etwas glamouröser zu werden?

Ich habe in Berlin nie den Glamour vermisst. Was bedeutet Glamour heute überhaupt? All die Dinge, die glamourös sein sollten, sind es nicht. Es fehlt die Fantasie, der Stil, alles sieht billig aus, ist aber teuer und bling bling. Das ist kein Glamour. Kreativ zu sein, Dinge einfach zu tun, Ideen zu realisieren, das ist glamourös …

… und klingt sehr nach Berlin.

Ja, noch. Ich finde es beängstigend, wenn alles mit einem Preisschild versehen wird. Glamour geht nicht zwangsweise mit vielen Nullen einher, auch wenn das viele glauben.

Als Sie sich 1985 von New York nach Berlin aufmachten, war die Stadt eine politische Insel. Was zog Sie her – die Liebe?

Jeder fragte mich das: Wer ist es? Aber da war niemand. Meine Schwester und ich hatten beide so eine Intuition, wenn es um Berlin ging. Als ich 1984 das erste Mal nach Berlin reiste, kam ich für das amerikanische Männermodemagazin „Daily News Record“. Es war Juli, es war kalt, es regnete. Und ich dachte: hier gibt es eine Musikszene, hier gibt es Kunst, ein bisschen Film. Hier wird auch Mode entstehen – die es ja nicht gab. Das nächste Mal kam ich eher aus Zufall, ich begann eine verrückte Affäre mit einem komplett durchgeknallten Kerl. Was ich im Berlin der 80er-Jahre erlebte war Pre-Sex-and-the-City und wahrscheinlich in meinem späteren Entscheidungsprozess nicht unerheblich. Ich habe den ganzen Geschichten der Serie nie geglaubt, die da erzählt wurden. Mein New York der 70er und 80er hatte nichts mit dem Plot zu tun.

Sind Sie nicht mit Männern ausgegangen?

Ich fand nicht die Richtigen in New York. Sixties girls didn’t date! Ich begriff, dass ich mich von New York entliebt hatte und war schockiert. Als ich mich für Berlin entschieden hatte, sagten die Leute: Melissa, Menschen ziehen weg, nach Brooklyn oder Hoboken. Aber nicht nach Berlin. Niemand verstand, warum ich das tat. Vielleicht nicht mal ich. Es war eine verrückte Idee und ich bin noch heute dankbar, dass ich sie hatte.

Wieso brauchte die „Women’s Wear Daily“ in den 80ern eine Berlin-Korrespondentin?

Die Zeitschrift brauchte Leute, die sie zu der immer wichtiger werdenden Modemesse Igedo nach Düsseldorf schicken konnten. Doch so viel gab es nicht zu entdecken. Im Grunde war es damals hart, Modejournalistin in Deutschland zu sein. Es gab nicht viele wichtige Designer und die, die wichtig waren, gingen weg. So wie Jil Sander. Einmal bin ich nach Hamburg gereist, um ihre Kollektion zu sehen. Dann zog sie nach Mailand und die Mailänder übernahmen.

Anfang der Nuller-Jahre entstand die Bread & Butter, die Premium, die ersten Modeschulen und Designer. Was dachten Sie?

Ich dachte: Wow, alles kommt zu mir! Wie toll. Es fühlte sich sehr ironisch an. Man kann solch eine Entwicklung ja nicht erzwingen. Man muss einfach abwarten. Und wie gesagt, Berlin hatte alle Voraussetzungen. Ein Nachtleben. Eine Kulturszene. Es war nicht teuer.

In einem Ihrer ersten Artikel über Berlin schrieben Sie: In Berlin geht es nicht um Mode, es geht um Stil. Hat sich der innerhalb der vergangenen Jahre verändert?

Die Modestadt Berlin ist noch ein junges Küken. Es dreht sich hier alles um Stil, und zwar um einen, der die Menschen von außerhalb überrascht, weil sie glauben, wir würden hier noch immer nach Grunge aussehen. Was sich hier entwickelt, ist ein extrem cleaner Stil, der sich aus dem Erbe des Bauhauses ergibt. Auch wenn Bauhaus nicht Berlin ist, beeinflusst es das Denken der meisten Deutschen.

Inwiefern?

Es passiert überall. Kürzlich habe ich mich darüber mit der Designerin Sissi Goetze unterhalten. Sie macht sehr geradlinige Männermode, und hat an der renommierten St. Martins in London studiert. Obwohl die Leute an verschiedenen Schulen in verschiedenen Ländern ihr Handwerk lernen, ergibt sich am Ende diese sehr cleane Designsprache, die durchaus als intellektuelle Mode zu bezeichnen ist.

Findet man auch noch andere Stile in der Stadt?

Jede Menge. Lala Berlin oder Don’t Shoot The Messengers stehen für einen Sexy- Rocker-Stil, andere bedienen eher einen Chick-Relaxed-Look. Insgesamt verschiebt sich gerade einiges. Die Designer und ihre Kunden werden älter. Es gibt Generationen an Menschen, die immer nur casual getragen haben. Die aber beginnen, sich zu langweilen. Auch ihre Eltern trugen nie etwas anderes als Freizeitmode. Es gibt eine ganze Generation an Frauen, die ihr Leben lang kein einziges Party-Kleid im Schrank hängen hatten.

Und jetzt legen sie sich welche zu?

Viele beginnen, Neues auszuprobieren, manchmal funktioniert das gut, manchmal weniger. Wenn wir uns so umschauen, sehen die meisten noch immer sehr nach Freizeit aus. Ja, aber sie experimentieren mehr damit. Der Lebensstil der meisten verlangt ja auch Mode, die zum Beispiel fahrradtauglich ist, viele sind Freelancer, das heißt, es gibt keine Kollegen, die komisch gucken, wenn man nicht adäquat gekleidet ist.

Wie laufen Sie herum, wenn Sie nicht gerade in einem Wunderkind-Kleid ein Interview geben?

Die Menschen in meinem Haus denken wohl ab und an, dass ich ein schizophrenes Leben führe. Unter der Woche laufe ich in ausgebeulten Chino-Hosen herum, wenn ich in unser Haus aufs Land fahre, ähnele ich eher einem Gartenzwerg. Aber wenn eine besondere Veranstaltung ansteht und ich mich zurechtmache, schauen die Leute mich an, als hätten sie mich noch nie gesehen. Manchmal wünschte ich, ich bräuchte Kleider in Berlin, aber das tue ich nicht. Es gibt kaum Anlässe.

Wird sich das je ändern?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist das auch nicht so wichtig, sondern nur, dass es in den Straßen nicht bald so aussieht, wie überall sonst. Schon in den 80ern gehörte es zu meinem Job, Streetstyle-Fotos zu machen. Damals war es in Berlin so und heute ist es so: Wartet man lange genug, egal wo, entdeckt man sehr interessante Dinge. Kleine Details, wie jemand etwas trägt, spannende Kombinationen. Berlin ist keine homogene Stadt. Und das ist spannend. Ich erinnere mich noch, als die ersten Russen nach Berlin zogen. Ich hatte noch nie so viele Donatella-Versace-Klone gesehen!

Und das gefiel Ihnen?

Es war wahnsinnig komisch! Wir sollten nie vergessen: Die Russen halten seit Ende der 90er den Einzelhandel in Berlin am Leben. Natürlich sind sie auch der Grund, warum Menschen wie ich nichts mehr bei Budapester Schuhe finde. Das Angebot trifft nicht mehr meinen Geschmack. Nun sind die Russen die Kunden, die kaufen eben acht Paar, und ich eventuell eins.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb kürzlich, dass sich Deutschland inmitten der Krise zu einer verspäteten Mode-Nation entwickelt. Übertreibt der Autor?

Es gibt diese typisch deutsche Haltung zu sagen, nein nein, da sind wir noch nicht. Man macht die Dinge nieder, bevor sie überhaupt passiert sind. Hier ist definitiv etwas am Entstehen. Wenn man das annehmen und fördern würde, könnte daraus eine Modenation werden. In Deutschland hat man ein Problem damit, stolz auf Dinge zu sein. In einem anderen Artikel zur vergangenen Fashion Week stand, es gebe dort nur zwei sehenswerte Shows sehen. Das ist nicht wahr. Die Labels, die in Berlin zeigen, bestimmen vielleicht nicht die Trends der kommenden zehn Jahre. Aber sie machen schöne Kleidung. Und sie brauchen Unterstützung.

Nach 27 Jahren im Modejournalismus …

… sagen Sie das bloß nicht zu laut, das klingt ja schrecklich …

… langweilt Sie die Mode auch?

Ich bin nicht gelangweilt von dem, worüber ich schreibe. Ich bin von dem Markt gelangweilt. Dass er alle drei Wochen etwas Neues hervorbringen soll. Daran glaube ich nicht. Und ich verstehe nicht, warum das nötig ist. Givenchy hat vor einigen Jahren gesagt: Wenn wir uns in der Schnelllebigkeit hätten etablieren müssen, die heute in der Branche herrscht, hätten wir nichts Gutes entwerfen können. Ich bin kein Fashion Victim. Und vielleicht muss man das sein, um zu tun, was ich tue. Ich wünsche mir wirklich, dass sich etwas verändert. Dass etwas Neues passiert.

September 2012 | zitty
Foto: Mary Scherpe