Zu viel innerer Frieden kann auch hinderlich sein
November 2013 | JNC: In Dänemark kennt jeder den Unternehmer Christian Stadil. Seine Philosophie: Tue Gutes und profitiere davon. Aus der Sportmarke Hummel machte er so den sechstgrößten Teamsportausrüster der Welt.
Herr Stadil, Sie sind Autor mehrerer Management-Bücher, Sie halten Vorträge über Buddhismus, Sie führen mit Ihrem Vater Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen, von der Nahrungsmittelindustrie über die Immobilienbranche bis zur Schifffahrt. Angeblich schlägt Ihr Herz aber für Hummel. Warum ausgerechnet die Mode?
Mein Herz schlägt für Mode, weil ich mich für Trends und für Lifestyle interessiere. Das muss aber nicht unbedingt Kleidung sein. Aktuell beschäftige ich mich zum Beispiel viel mit Tätowierungen. Mode und Trends sind eng mit unserer Gesellschaft verknüpft, und damit, wie es um die Welt bestellt ist. Denken wir nur an den Rock-Index …
Sie sprechen davon, dass die durchschnittliche Rocklänge zeigt, wie es um die Wirtschaft bestellt ist?
Boomt die Wirtschaft, sind die Röcke kurz, kriselt es, werden sie lang. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten suchen die Männer Frauen, die männlicher und etwas älter sind, weil sie glauben, dass ihnen diese in harten Zeiten zur Seite stehen können. Schon als Teenager habe ich mich für Trends interessiert. In unserem Jahrbuch wurde ich zum Popkultur-Experten gewählt, weil ich alles über Hollywood wusste. Mode ist Kultur, genauso wie Literatur oder Kunst. Ich finde das alles inspirierend – aber mit der Mode lässt sich auch am einfachsten Geld verdienen.
Wie definieren Sie gute Mode?
Das hängt davon ab, ob eine Kollektion die DNA einer Marke wiedergibt. Auch muss entweder die Qualität sehr gut oder die Mode funktional sein. Trifft beides nicht zu, muss die Idee extrem stark sein. Wie bei Alexander Wangs Strickteilen, die nach gefühlten zwei Tagen auseinanderfallen. Aber genau damit bringt er seine Sprache zum Ausdruck – seinen transparenten shabby Chic. Vor allem verhält es sich mit der Mode wie mit der Kunst: Beide funktionieren wie Liebesbeziehungen. Jedes Kleidungsstück besitzt einen gewissen X-Faktor und von dem fühlt man sich angezogen – oder eben nicht.
Hummel ist nicht unbedingt die Marke, die man mit dem puristischen Look Skandinaviens assoziiert. Wir haben lange diskutiert, ob Hummel in dieses Skandinavien-Spezial passt …
Wie bitte? Viel näher können Sie doch gar nicht an die skandinavischen Wurzeln und Werte gelangen als mit Hummel!
Wieso?
Das Design von Hummel ist sehr puristisch, sehr klar und damit sehr skandinavisch. Hummel ist die einzige Sportmarke, die zu 100 Prozent in dänischer Hand ist! Das Unternehmen verwaltet ein großes Erbe. Dieses Jahr feiert die Marke ihren 90. Geburtstag. Viele der aktuellen Designs stammen aus der Anfangszeit, also den 1920er-Jahren.
Was hat das mit den skandinavischen Werten zu tun?
Im Grunde muss man hier etwas spezifischer sein und von dänischen Werten sprechen. Dänemark war nach Finnland das zweite europäische Land, das Frauen das Wahlrecht gewährte. Es war das erste Land, das zivilrechtliche Partnerschaften für Homosexuelle und Pornografie erlaubte. Wenn wir mit Hummel die Fußballmannschaft von der Kopenhagener Alternativkommune Christiania sponsoren, tun wir das auch, weil wir das freiheitliche Denken Dänemarks weiterleben wollen.
Seit über zehn Jahren ist das Sponsoring von Sportlern, die sonst niemand unterstützt, Teil der Marketingstrategie von Hummel. Einst rief Sie ein dänischer Fußballer an, der das Spiel Tibet gegen Grönland organisieren wollte – beide Teams werden von der FIFA nicht anerkannt. Die großen Player wie Adidas und Nike hatten die Kooperationsanfrage abgelehnt, Sie aber sagten zu.
Von den Tibetern habe ich ewig nichts gehört! Heute spielen neben Christiania unter anderem auch Sierra Leone, St. Pauli und die afghanischen Fußballteams in unseren Trikots.
Für manche sind Sie ein gerissener Stratege. Insbesondere als Sie die Kooperation mit der Frauenfußballmannschaft von Afghanistan bekannt gaben, wurden einige sehr kritische Stimmen laut. Was entgegnen Sie Ihren Kritikern?
Natürlich sehen mich diejenigen als gerissenen Strategen, die glauben, mein soziales Engagement verfolge nur ein Ziel: Gutes in der Welt zu leisten. Das tue ich nicht. 2007 habe ich gemeinsam mit dem Professor Steen Hildebrandt das Buch „Company Karma“ geschrieben. Darin geht es viel um die Frage, die wir uns alle stellen müssen: Wie können Unternehmen die Welt verändern? Eine Veränderung wird nur möglich sein, wenn die Firmen von ihrem Engagement profitieren. Was ist schlimm daran, wenn ein Unternehmen etwas Gutes tut und wie Hummel gute PR dafür erhält? Ist ein Unternehmen weniger glaubwürdig, nur weil es mit dem Verkauf eines Produktes, das fair hergestellt ist, Profit macht? Wenn die Unternehmen keinerlei Vorteile von ihren Aktionen haben, werden sie langfristig nicht daran festhalten.
1999, als Hummel am finanziellen Abgrund stand, übernahmen Sie das Unternehmen. Sie sagten einmal, Hummel war damals „absolut überhaupt nicht trendy“. Was reizte Sie?
Kaum eine Sportmarke blickt auf eine ähnlich lange Geschichte zurück! Die Firma wurde 1923 gegründet. Sie war riesig in den 80ern. Bis 1995 war Hummel der Sponsor von Real Madrid! Tottenham spielte in Hummel. Als wir uns damit beschäftigten, ahnten wir, welches Potenzial in diesem Erbe steckt. Wir beschlossen die Marke modischer zu machen, um damit in die guten Stores zu gelangen. Als Häuser wie Colette, Bergdorf & Goodman und Barneys Hummel führten, waren auch die Sportgeschäfte wieder interessiert. Hummel fand über die Mode zurück zum Sport.
Sie sollen damals stundenlang die Archive der Marke durchstöbert haben und so auf die Idee gekommen sein, auf Retro zu setzen.
Nein, ich hatte nicht den einen genialen Einfall. Für ein weiteres Buch haben die Professorin Lene Tanggaard und ich die 25 erfolgreichsten dänischen Kreativen befragt. Wir wollten erfahren, warum Dänemarks Kreativindustrie so erfolgreich ist. Zum einen fanden wir heraus, dass die meisten Heureka-Momente nicht wie bei Archimedes in der Badewanne, sondern unter der Dusche, im Auto, im Flugzeug, beim Joggen oder beim Spazierengehen passieren. Wenn man alleine ist, es eine Form von Bewegung und eine Geräuschkulisse gibt. Ein anderes Ergebnis war, dass alle guten Ideen auf einer Menge Eindrücke basieren, nach dem Motto „Talent borrows, genius steals“. So war das bei Hummel auch. Ich kannte das Archiv. Dann las ich einen Artikel über den nächsten Megatrend, der sich Retro nannte. Die Jahrtausendwende stand bevor. Alle fragten sich, was passieren wird. Kommen uns Aliens besuchen? Ist das unser Ende? Der Artikel resümierte: Menschen wollen Sicherheit, sie wollen bekannte Produkte, die ihnen ein gutes Gefühl verleihen. Als ich in einem Geschäft ein Poster entdeckte, auf dem stand: „Hummel-Produkte ausverkauft“, da fügte sich alles zusammen und wir beschlossen, auf die alten Designs zu setzen.
Während meiner Recherchen konnte ich eines nicht wirklich über Sie herausfinden: Sind Sie nun Buddhist oder nicht?
Ich verstehe, warum Sie es nicht verstehen, ich verstehe es selbst nicht ganz. Seit 30 Jahren interessiere ich mich für Buddhismus, ich war viel in Asien, habe dort meditiert, die großen Meister getroffen und um die 500 Bücher über Buddhismus gelesen. Aber ich versuche mich darauf nicht zu sehr zu fokussieren, sondern nach Charlie Parker zu leben. Der sagte einst, man soll zunächst sein Instrument perfektionieren und dann nur noch spielen.
Sie haben die Meditation perfektioniert?
Ja und nein. Wenn man sich auf etwas im Leben konzentriert, dann wächst das. Setzt man sich allerdings nur mit seinem inneren Frieden auseinander, kann das für andere Belange auch hinderlich sein.
Wie geht das zusammen, Buddhismus und Unternehmertum?
Ich versuche alles, damit es zusammenpasst.
Aber im Buddhismus heißt es doch, man soll auf alles verzichten, was man zum Leben nicht braucht?
Im Hinblick auf diese Definition bin ich kein Buddhist. In der Art und Weise, wie wir unsere Unternehmen führen, gibt es jedoch jede Menge buddhistische Inspiration. Wir haben eine flache Hierarchie, jeder Angestellte hat die Mobilnummer von meinem Vater und von mir. Wir verwirklichen all diese Dinge, die wir Karma-Projekte nennen. Eine Hühnerfarm in Malawi, eine Farm auf dem Dach unseres Büros in Rotterdam, wo wir auch Bienen züchten. Neu ist, dass wir unsere Mitarbeiter involvieren wollen, indem wir jedes Jahr das beste Karma-Projekt unserer Angestellten auszeichnen. Das können kleine Projekte sein, aber so motivieren wir sie, etwas Gutes zu tun. Und wer etwas Gutes tut, motiviert auch andere, das nachzumachen.
In Dänemark sind Sie so etwas wie ein Celebrity, ständig sind Sie im Fernsehen. Schon zu Schulzeiten suchten Sie die Aufmerksamkeit. Trugen Militäruniformen und Helme. Sind Sie eine Rampensau?
Meine Freunde würden nun sagen: natürlich! Aber ich habe ein sehr spezielles Verhältnis zu Aufmerksamkeit. Jeder Auftritt, jedes Interview, jeder Vortrag ist auch ein innerer Kampf. Ich nenne das meinen „Monkey Mind“. Merkwürdige Gedanken kommen auf, die ich wegschieben muss. Ich mag Aufmerksamkeit, und ich suche sie aus irgendeinem Grund, aber sie ist auch ein Tanz mit dem Teufel.
Haben Sie Angst vor dem Tag, an dem die Medien nicht mehr anklopfen?
Nein, die Suche nach Aufmerksamkeit hat nichts mit meinem Ego zu tun, sondern eher damit, dass all das äußere Gewusel beruhigend auf das Gewusel in meinem Kopf wirkt. Für Aufmerksamkeit brauche ich keine Medien, sondern nur Menschen um mich herum.
Christian Stadil, 42, gründete vor 15 Jahren gemeinsam mit seinem Vater Thor Stadil die Thornico Group. Heute gehören der Gruppe über 20 Unternehmen, unter anderem der Sportartikelhersteller Hummel. Stadil lebt mit Frau und Sohn in Kopenhagen.
Dezember 2013 | JNC