Franziska Klün

Das Experiment Bar 25

Juli 2009 | zitty: Die Bar 25 war vieles: Afterhour-Club, Restaurant, Kommune, Utopie. Wir sind kurz vor ihrer Schließung noch einmal in den Mikrokosmos eingetaucht. Starfotograf Robert Lebeck hat für uns fotografiert.

Das große schwere Tor an der Holzmarktstraße 25 öffnet sich, Christoph Klenzendorf wartet dahinter in Blumenhemd und knallgrünen Adidas-Shorts. Erleichterung – bis zum Schluss war nicht klar, ob die Betreiber der Bar 25 uns Einlass gewähren. Aus 14 Leuten besteht das Kollektiv am Spreeufer, sie leben in einer Art Kommune zusammen, insgesamt 60 gehören zum festen Team. Die wichtigen Entscheidungen treffen sie gemeinsam. Vor dieser Entscheidung, Journalisten hereinzulassen und eine Woche am Alltag der Bewohner teilhaben zu lassen, gab es genügend interne Bedenken, die Skepsis gegenüber Medienvertretern ist groß. Aber die Bar 25 kann öffentliche Aufmerksamkeit derzeit gut gebrauchen. Knapp sieben Wochen sind es noch, dann muss sie schließen. Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe, denen die Fläche nahe des Ostbahnhofs gehört, haben den Nutzungsvertrag nicht verlängert. Das Gelände soll saniert werden und vorbereitet werden für eine neue Bebauung: Eines Tages soll hier das Quartier „Spree Urban“ entstehen, es gibt schon Architektenzeichnungen, die riesige Wohn- und Bürotürme zeigen. Noch kämpfen die Bewohner des kleinen Hüttendorfes. Klenzendorf begrüßt uns mit festem Händedruck.

Wochenbeginn: Der Dienstag

In der Bar 25 beginnt die Woche am Dienstag. Montag ist Ruhetag, zumindest offiziell. Inoffiziell ist Montag der Tag an dem sich Freunde und Mitarbeiter nach dem Wochenende zusammenfinden, um miteinander zu feiern, zu entspannen, runter zu kommen. Für die Kommune der beste Tag der Woche.

„Alles andere ist Business“, erklärt der 36-jährige Klenzendorf während seiner Führung über das insgesamt 10.000 Quadratmeter große Gelände zwischen Michaelkirch- und Schillingbrücke, das mit einem hohen Holzzaun abgeschirmt ist. Zwei Drittel davon sind für den normalen Gast nicht begehbar, es ist das größte Backstage-Areal Berlins. Die 14 Bewohner leben in Bauwagen und Holzhütten. Eine davon, die mit dem besten Blick, gehört Klenzendorf und seiner Freundin Steffi Lotta. Direkt an der Spree gelegen, öffnet sich der Blick auf das Kiki Blofeld, das ver.di-Haus und vorbeifahrende Ausflugsschiffe. Apfel- und Kirschbäume, Silber- und Schwarzpappeln, Trauerweiden und Birken stehen zwischen den Holzhütten, schlucken den Stadtlärm. Vier der kleinen Häuschen vermietet die Gruppe an Rucksackreisende und DJs. Vor der „Junggesellenecke“, einer Ansiedlung von vier Bauwagen mit männlichen Bewohnern, stehen Sofas, in der Mitte ein Tisch, der als Sammelstelle für leere Bierflaschen dient. „Wir sind eine Business-Hippie-Kommune“, sagt Klenzendorf. Die Solidarität in der Gruppe sei wichtig, der gegenseitige Respekt, die Magie des Ortes, aber eben auch die Arbeitsmoral: „Jeder hat seinen Beitrag zu leisten, sonst funktioniert das hier nicht.“

Der durch eine Holzwand von der Bar getrennte „Speck & Wasser“-Bereich ist das Naherholungsgebiet für Kommunenbewohner wie Gäste. Ein paar Menschen sitzen in der Saunahütte. Es gibt einen Massage-Bauwagen, genannt „Zirkusknetwagon“, von Shiatsu über Fußreflexzonentherapie bis hin zur ayurverdischen Entgiftungsmassage ist hier alles möglich.

Klenzendorf ist gerne sein eigener Chef. „Schon als Kind habe ich keine Autoritäten akzeptiert“, sagt er, er sei ein süddeutscher Rotzbengel, der früher die Ferien auf bayerischen Bauernhöfen verbrachte. „Deswegen fühle ich mich der Natur so verbunden. Wie die meisten hier bin ich ein Landei.“ Die Vorstellung, demnächst von der Spree wegziehen zu müssen, das alles aufzugeben, macht ihm Angst. Seit dem Saisonstart Anfang Mai kümmert er sich um wenig anderes als darum, bleiben zu dürfen: „Wir müssen weg, weil hier Büroflächen und damit Arbeitsplätze entstehen sollen. Aber es gibt keinen Investor und keine konkreten Pläne. Unser fester Mitarbeiterstamm besteht aus 60 Leuten, insgesamt sind es 150, die regelmäßig bei uns arbeiten. Warum zählt das nicht? Warum sollen wir Platz machen für eine Brachfläche?“ Große Chancen, eine Vertragsverlängerung zu erreichen, sieht er indes nicht.

Die Tür der Saunahütte öffnet sich, die Gäste stürzen mit hochroten Köpfen zur Abkühlung in die Spree.

The Broken Hearts Club zu Gast: Der Mittwoch

Die monatliche Clubnacht, auch geläufig unter dem Kürzel BHC, ist längst eine feste Größe in der Berliner Kreativszene. Heute gastiert sie zur Fashion Week in den Holzhütten an der Spree. Solche Gastspiele sind recht profitabel für die Bar 25, auch Unternehmen wie Nokia, Adidas, The Contemporary Fine Arts oder Hugo Boss haben hier schon gefeiert. Man geht unbefangen damit um, einerseits eine Institution der Subkultur zu sein, andererseits unternehmerisch zu handeln und solvente Kunden am eigenen Glanz teilhaben zu lassen.

Traditionsgemäß haben die Broken-Hearts-Club-Veranstalter zur Kleiderordnung aufgerufen. Thema an diesem Abend: Space Rock. Männer in hautengen glitzernden Leggins, dazu weiße spitze Schuhe, Frauen in neonfarbenen Kleidern, ansonsten der ganz normale modische Wahnsinn zu Zeiten einer Modewoche. Vor der Tür hat sich eine riesige Menschentraube gebildet, selbst auf der stark befahrenen Straße und dem Mittelstreifen sieht man diskutierende, telefonierende Gestalten. Normalerweise stellen sich die Gäste vor der Tür an, seit ein paar Tagen veranschaulicht neben dem Eingang ein Cut Out, wie eine solche Schlange auszusehen hat. Aber heute fühlen sich die Gäste zu wichtig zum Warten, alle wollen sofort hinein.

Drinnen dreht DJ Hugo an den Plattentellern, ein paar Menschen tanzen, die meisten reden und beobachten einander zu Caipirinha und Prosecco Aperol. Weder die Bewohner noch das übliche Publikum sind zu entdecken. Heute geht es ums Sehen und Gesehen werden. Leute in Clowns- oder Prinzessinnenkostüm, die im Autoscooter sitzen und Volkslieder trällern, findet man an solchen Tagen nicht.

Tag der öffenen Tür: Der Donnerstag

Im Restaurant weist eine Dame mit Schönheitsfleck und knallrotem Mund den Gästen ihre Tische zu. Die Bar 25 ist eines der besten und schönsten Lokale an der Spree, das ist längst kein Geheimwissen von Techno-Freunden mit übergroßen Pupillen mehr. Unter der Woche treffen sich hier Jung und Alt, Arm und Reich, Dick und Dünn, Sexy und Unsexy zum Essen oder zum Feierabend-Bier an der Bar. Ab 16 Uhr steht die Tür jedem offen, ganz ohne Einlasskontrolle oder Dresscode. Im Restaurant gibt es Champagne Julep als Aperitif, Saltimbocca vom Kalbsrücken mit Pfirsich und Polenta als Hauptspeise, die Bedienung ist lässig, der Service gut. Eine Familie speist neben fünf Männern im Anzug, dahinter trinkt ein frisch verheiratetes Paar eine Flasche Champagner. Die Küche der Bar 25 wendet sich an Gourmets, die hohen Preise sind gerechtfertigt. Fünf Meter weiter, hinter dem Holzzaun, sucht ein Bewohner seine Zahnbürste, jemand muss sie versehentlich für seine eigene gehalten haben.

Wenn Steffi Lotta, Klenzendorfs Freundin, nicht wie heute kellnert, moderiert sie das hauseigene Internetradio (www.bar25.de), oder sie steht am Wochenende an der Tür. Und die Tür ist hart. Es gibt Menschen, die trauen sich wegen dieser Härte erst gar nicht her.

Lotta ist bekannt für provokante Sprüche, sie will prüfen, wie die Leute ticken. Wer extreme Partys veranstaltet, meint sie, müsse sicher sein, dass sein Publikum damit zurechtkommt. „Im ersten Jahr wurde ich schnell zu persönlich, ich habe die Leute beleidigt, das war falsch.“

Dass ihr seitdem der Ruf des „Tür-Hitlers“ vorauseilt, daran hat sie sich gewöhnt. Heute mache sie sich locker, nehme sich selbst nicht mehr so ernst. Und der Ruf diene auch als Schutz. So haben die Leute Respekt vor ihr, das ist nötig bei einem Job wie ihrem. Trotzdem werden viele aggressiv, wenn sie nicht hinein dürfen. Des Öfteren ist Lotta mit einem Veilchen ins Bett gegangen. Manche, die nicht an ihr vorbeikommen, versuchen über den Zaun zu klettern. Ein Mann hat es innerhalb einer Nacht vier Mal versucht. Vier Mal wurde er wieder rausgeschmissen, am Ende kam die Polizei und nahm ihn mit.

Das Feiern beginnt: Der Freitag

Juval Dieziger, gebürtiger Schweizer, war früher Küchenchef im Mitte-Club Cookies Cream, vor fünf Jahren ist er in die Bar 25 gekommen und leitet seither das Restaurant. Mittlerweile sei er aber nur noch so etwas wie ein Küchendirektor, sagt er: „Küchenchef ist jetzt Philip Patzig, gelernter Koch aus dem Vau, ein Mega-Profi. Das erkennt man an seiner Schlankheit. Begnadete Köche wie mich erkennt man an ihrem Bauch.“

Zusammen mit Klenzendorf kämpft Dieziger für den Erhalt der Bar. Die Demonstration des Aktionsbündnis MegaSpree, die am 11. Juli unter dem Motto „Berlin frisst ihre Kinder“ stattfand, hat er mit initiiert, er versucht, die Kulturbetriebe entlang des Spreeufers besser miteinander zu vernetzen. Warum die BSR die Bar 25 vom Gelände haben möchte, kann Dieziger genau erklären: „Bis vor 70 Jahren stand hier eine Gasfabrik, eine mit Giften verseuchte Blase sitzt unter uns in neun Meter Tiefe fest. Für uns ist das nicht weiter gefährlich, da der Boden versiegelt ist und die Gifte statisch sind.“ Der Bund und der Senat hätten zugesagt, alle Sanierungskosten, die 1,45 Millionen Euro übersteigen, zu übernehmen – allerdings nur noch dieses Jahr. „Ende 2009 läuft der Vertrag aus. Wir haben die Kosten für die Sanierung schätzen lassen: Ungefähr 20 Millionen Euro, also würden Bund und Senat 18,65 Millionen bezahlen und 1,45 Millionen die BSR. Wie immer geht es nur ums Geld.“ Bleiben dürfen bis das Gelände bebaut wird, das sei doch alles, was sie wollten. Chancen, das Ziel zu erreichen, sieht auch er nicht.

Dieziger ist eine Frohnatur, er trumpft gerne mit seinem gastronomischen Fachwissen und freut sich auf seine 83-jährige Großmutter, die ihn nächste Woche besucht. Als ein Gast die Spree als Toilette benutzt, geht er zu ihm und appelliert an sein Gewissen. „Immer mehr Leute machen das in letzter Zeit“, sagt er, „und fast immer sind es Skandinavier.“ Auf die Frage, ob die Bar 25 so etwas wie die Kommune 1 der heutigen Zeit sei, antwortet Dieziger: „Rock’n’Roll gibt es hier, Drugs sicherlich auch. Aber mein Sexleben leidet eher unter der Kommune, man ist immer unter Leuten.“

Um kurz nach Mitternacht tanzen im Zirkuszelt die Menschen zu experimenteller Musik, ein Mann in langem, weißem Gewand unterlegt diese mit einem Live-Gongspiel. Ein paar Meter weiter tanzt gleichzeitig eine jubelnde Menge zu harten elektronischen Beats. Zwei als Zwillinge verkleidete Wesen liegen wie Käfer auf dem Boden, strecken alle Viere in die Luft und geben blökende Geräusche von sich, kaum jemand nimmt Notiz von ihnen. Gefeiert wird bis 10 Uhr vormittags. Als die Bar für ein paar Stunden schließt, damit einmal durchgeputzt werden kann, beschließen einige der noch anwesenden Gäste auf dem grünen Mittelstreifen auf der Straße Platz zu nehmen. Sie warten, bis es weiter geht. Die Zwillinge sind nicht mehr zu sehen.

Und es geht weiter: Der Sonnabend

Es ist 1.30 Uhr, also schon Sonntag, und demnach der eigentliche Beginn des Sonnabends. Am Eingang hat sich eine Schlange aus eher konventionell und sehr bunt bekleideten Ausgehfreudigen gebildet, die Tanzfläche und die Uferstege sind bereits gefüllt.

Der Resident DJ und Freund des Hauses Brian Cares lebt nicht in der Kommune. Das könnte er nicht, sagt er, aber öfters über Nacht bleiben täte er gerne.

Klenzendorf ist ein alter Freund von ihm, er mag die Koexistenz von Remmidemmi und Ruhe in der Bar und sagt, dass hier viel auf Sympathie beruht und es kein VIP-Gehabe gibt, auch unter den DJs nicht: „Ob Richie Hawtin oder DJ Unbekannt, jeder kriegt die gleiche Gage, niemand wird bevorzugt behandelt, alles passiert auf Augenhöhe.“

Damit meint er auch den Kontakt zum Publikum. Die DJs stehen in der Bar 25 direkt neben den tanzenden Gästen, nicht über der Menge auf seinem Pult. Das Soundsystem ist relativ leise, die Nachbarn dürfen nicht gestört werden. „Und außerdem lässt das viele Holz die Musik viel wärmer klingen“, sagt Cares, „hier muss niemand auf seine Ohren aufpassen.“ Einerseits sei das alles ein professioneller Betrieb, meint der DJ, andererseits bliebe trotzdem genug Platz für Ausreißer. Jeder komme gerne her, nicht nur die Gäste, sondern auch alle, die hier arbeiten.

Das mag auch daran liegen, dass die Bar 25 ihr Personal für Berliner Verhältnisse gut bezahlt. Selbst die Putzfrau erhält 8,50 Euro pro Stunde. Zur Frage, wie viel Gewinn die Bar monatlich macht, gibt es die verschiedensten Ansichten. Während manche sagen, hier lebe man von der Hand in den Mund, sagen andere, hier würde das Geld Schubkarrenweise heraus getragen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Immer wieder ärgern sich Besucher, Konkurrenten oder Beobachter, dass die Bar einerseits eine Kommune und andererseits ein kapitalistisches Unternehmen ist. Einen Widerspruch kann Mitbegründer Danny Faber da nicht erkennen: „Wir sind ein legaler Betrieb, wir haben Angestellte und Gehälter zu zahlen. Natürlich wollen wir den Laden voll machen.“

Es wird langsam hell, auf der Riesenspielwiese, dem Neverland des Spreeufers, verwandeln sich Erwachsene in Kinder. Die Selbstkontrolle haben sie am Eingang abgegeben. Hier darf jeder sein, was und wie er will. Menschen liegen auf den Holzbänken am Wasser und singen, die Arme in der Luft, manche stolpern über sie und lachen, auf einem elektrischen Pferd sitzt ein Mann in Schottenrock und lässt sich von einer Freundin die Lippen rot anmalen, die berühmte Schaukel, die in einer Baumkrone gleich neben der riesigen Discokugel befestigt ist, ist in regem Betrieb. Im Fotoautomaten blitzt es, eine Gruppe von Leuten versucht sich vor dem Auslöser zu stapeln, auf der Tanzfläche bewegen sich die Menschen dicht an dicht gedrängt zu Oliver Koletzkis Techno-Tracks. So geht es bis morgen – oder übermorgen.

Oder auch nicht: Der Sonntag

Die Türpolitik am Sonntag ist für viele Außenstehende ein Rätsel. Mal extrem selektiv, mal extrem entspannt. Am frühen Abend werden drei Mädchen in Jeans, Pomps und Sonnenbrillen wieder nach Hause geschickt: „Könnt Ihr euch nicht ein bisschen frecher anziehen?“, werden sie am Eingang gefragt. Drinnen ist es leer, auf der Tanzfläche steht kein einziger Gast, nur einer liegt tief schlafend auf einem der braunen Ledersofas. Kaum einer sieht so aus, als hätte er das Wochenende durchgemacht, die meisten haben einen verschlafenen Gesichtsausdruck. Legendäre Anekdoten über „Durchis“ und „Druffis“, die ihre Gesprächs-, Tanz-, Trink- oder Sexpartner nicht mehr fokussieren können, werden heute nicht gesammelt: „An der Schillingbrücke findet noch ein Riesenrave statt, wenn der vorbei ist, kommen die Leute hier her“, sagt Klenzendorf.

Aber vielleicht kommen sie auch nicht. Am Himmel zieht ein fieses Gewitter auf. Wer noch einmal auf den Stegen am Spreeufer in einen Zustand selbstvergessener Euphorie fallen will, muss sich beeilen.

16.07.2009 | zitty

Foto: Robert Lebeck