Franziska Klün

Das Traum-Geschäft

YSSO: Warum kennen wir die Marken unserer Kühlschränke und Waschmaschinen, aber nicht die unserer Matratzen? Die Macher von Muun wollen das Produkt Matratze aus der Discounternische herausholen – und kommen damit genau zur richtigen Zeit.

Die Mulackstraße in Berlin-Mitte. Zentrum des Kreativen-Biotops Berlin. Hier reihen sich Modeboutiquen an Designgeschäfte an Cafés für Matcha Tee. Und dazwischen? Ein Matratzengeschäft. Ein mondsichelförmiges Ladenschild macht bereits von Weitem darauf aufmerksam. „Muun“ steht in weißen, kleinen Lettern auf der Glasfassade. Alles an diesem Geschäft ist unauffällig, fast zum Dranvorbeilaufen – wer es doch hineinschafft, darf Probeliegen.

Denn drinnen thront eine einzige Matratze auf einem dunkelblauen Podest, und genau das soll diese auch: thronen. Darum geht es hier: Um Erhöhung, um Wertschätzung, um die Ikonisierung eines vernachlässigten Produkts. Eine Matratze? „Das ist Rotstift-Kampf, Discounterware, Dauer-Rabatte“, sagt Vincent Brass. Gemeinsam mit Frederic Böert hat er Muun im Herbst 2015 gegründet. Die beiden kennen sich aus Studienzeiten in London. Ihr Vorhaben: Die Matratze aus der Discounternische herauskämpfen. Sie zu einem vollwertigen Möbelstück machen. „Eine Marke für Schlaf aufbauen!“, wie Brass sagt.

Aus unterschiedlichen Branchen haben Frederic Böert, 29 Jahre, und Vincent Brass, 27 Jahre, einen Online-Shop aufgebaut, bei dem man sich eine Matratze konfigurieren kann. Das Prinzip ist simpel: Es gibt vier unterschiedliche Liegegefühle, die sich auch miteinander kombinieren lassen – mag’s der eine Partner weicher als der andere, ist das kein Problem. Eine wendbare Auflage verhindert, dass sich ein Spalt in der Mitte bildet. Wer seine Muun-Matratze erhalten hat, darf 100 Tage Probeliegen. „Denn darum geht es doch am Ende: dass man dauerhaft gerne und gut auf seiner Matratze liegt“, sagt Böert.

Mit der Geschäftsidee ist Muun nicht allein. Das Online-Magazin Gründerszene berichtet von einem regelrechten Matratzen-Hype, der gerade in der Start-Up-Szene stattfindet, da auch Portale wie Casper, Sleepz, Smood, Bruno oder Eve auf das Online-Geschäft mit der Schlafunterlage setzen. Trendforscher rechnen damit, dass nach den Themen gesunde Ernährung und Fitness nun der Schlaf in den Fokus potentieller Konsumenten tritt. Und Stiftung Warentest stellte fest, dass neben dem Fernseher vor allem Matratzen vom Deutschen 2015 begehrt wurden. „Was hier gerade geschieht ist vergleichbar mit der Entwicklung des Ernährungsthemas vor etwa zehn Jahren, als die Leute plötzlich anfingen, vier Euro für frische Smoothies zu zahlen“, sagt Brass. „Der Markt ist total reif“.

Durch sehr technische Markenkommunikation habe zwischen dem Markt und den Kunden in den letzten Jahren „eine krasse Entfremdung stattgefunden“, so Brass. „Wir kennen zwar Marken für Kühlschränke und Waschmaschinen, aber für Matratzen? Fehlanzeige!“. Dabei verbringt der Mensch mindestens ein Drittel seines Lebens im Bett, man führt also innige und vor allem lange Beziehungen mit diesem Produkt. Durchschnittlich tauscht jeder Deutsche nur alle 15 Jahre seine Matratze aus und entpuppt sich damit als sehr matratzentreue Seele. Zum Vergleich: Die Amerikaner gönnen sich im Durchschnitt alle acht Jahre eine neue Schlafunterlage.

Was Muun von seiner Konkurrenz unterscheidet ist die Strategie, die Matratze im wahrsten Sinne einzubetten: Ende 2016 lancieren sie in Zusammenarbeit mit der Berliner Designmarke New Tendency ein Bett für ihr Produkt. Sukzessive soll der Showroom in der Mulackstraße in einen Concept-Store für Schlaf ausgebaut werden – mit einer von dem Berliner Magazingeschäft „Do you read me?!“ mit Literatur über Schlaf und Träume ausgestatteten Leseecke, einer Naturfaserdecke, die Muun neu entwickelt hat und einem Bademantel, der auch als Trenchcoat getragen werden kann, entworfen von dem jungen Loungewear-Label Fyne Garments. Muun erzählt Geschichten. Der Claim dazu: „Tailored to your dreams“.

„Eine Matratze ist ähnlich wie ein Parfum ein mysteriöses Produkt“, sagt Brass, „Liegekomfort ist eine subjektive Angelegenheit. Man bevorzugt etwas, aber warum das so ist, kann man eigentlich nicht erklären. Deshalb ist es ja so schwer, die richtige zu finden!“. Gut liegen, schlafen, träumen – alles Emotionssache. Das eigene Online-Magazin Lucile setzt genau hier an. Mit Essays, Kurzgeschichten und Interviews über Träume und Schlaf wollen sie zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Thema beitragen.

Ganz bewusst haben sich Brass und Böert dagegen entschieden mit technischen Details zu werben, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen oder mit den Ergebnissen von Gesundheitstests. „Wir wollen nicht damit auftrumpfen, dass wir noch zwei weitere Zonen in die Matratze eingebaut haben, wo nun auch das Handgelenk einsinken kann“, sagt Böert, „uns geht es darum, ein Bewusstsein für guten Schlaf zu schaffen. Die Menschen sollen eine Beziehung zu dem Produkt entwickeln“. Viel zu lange habe genau das stattgefunden: Sich in Schlafzonen und produktionstechnischen Details verlierende Beratung. Kaum etwas scheint so nervtötend – davon handelte auch der lesenswerte Zeit Artikel „Albtraum im Bettenhaus“ – wie der Kauf einer Matratze. Darin schreibt Kolja Rudzio: „Die richtige Matratze zu finden, das ist, nun ja, ein komplexer Prozess. Ich könnte auch sagen: Es ist Wahnsinn. Oder Marktwirtschaft. Oder beides.“ Dabei ist Schlaf etwas Wunderbares, Kostbares. Ein Tag im Bett – purer Luxus. Durch Muun soll dieser Luxus nun bereits im Bettenhaus beginnen, in Berlin-Mitte, in der Mulackstraße. Vom Albtraum- zum Traum-Erlebnis.