Franziska Klün

Der Geschichtensammler

März 2014 | CODE Magazine: Er gilt als das bestgehütete Geheimnis der deutschen Modelandschaft und sein Berliner Atelier gleicht einem Museum: Die Mode Frank Leders erzählt von Deutschland. Was im Ausland gut ankommt, wird hierzulande ignoriert. Ein Besuch.

„Ich sammle, seit ich arbeite. Angefangen habe ich damit in London, ich studierte dort Modedesign an der Central St. Martins und lebte in Dalston. Direkt vor meiner Haustür gab es den Ridley Road Markt, da blieben irgendwelche Dinge oft einfach stehen, wie ein Stuhl, den ich noch heute besitze und der viel auf Fotoshootings eingesetzt wird. Auch an den Ständen entdeckte ich immer wieder besondere Objekte. Bei einigen Dingen war von Anfang an klar, dass diese nur temporär zu besitzen sind. Zum Beispiel habe ich dort 20 Kilogramm schwere, gigantische Kartoffel- und Zwiebelsäcke gekauft. Die sahen großartig aus, wie sie in ihren luftdurchlässigen, roten und gelben Verpackungen in meinem Loft hingen. Irgendwann kamen die Triebe durch die Säcke, ich habe sie fotografiert, daraus einen Druck entwickelt und als sie zu stinken anfingen, habe ich sie entsorgt. Das ist auch eine Art des Sammelns: Ich möchte etwas nur in einem Bild oder einem Gedanken festhalten, und es im Anschluss auch nicht wiederholen.

Ich will meine gesammelten Objekte nicht bis in alle Ewigkeit horten, sondern aus ihnen Inspirationen für meine Arbeit ziehen. Das begann damals in London, heute gehe ich dabei viel strukturierter vor. Oft sehe ich Dinge, die mir gefallen, und auch wenn ich zunächst keine genaue Idee habe, ahne ich, dass ich sie einmal verwenden werde. Das kann Monate dauern, oder Jahre. Wenn die Sachen aber ihren Zweck erfüllt haben, kann ich mich auch von ihnen trennen. Dann gebe ich die Dinge weiter oder verarbeite sie direkt in meinen Kollektionen. Derzeit sammele ich zum Beispiel Landkarten, die ich zerschneiden, falten und in die Taschen der Hosen und Jacken meiner nächsten Kollektion legen werde, die den Namen Colditz trägt.

Meine Art zu sammeln ist also eine ganz andere als die der ernsthaften Kunstsammler. Die wollen Kunst besitzen, weil sie ihnen gefällt. Sie würden damit nie spekulieren. Sicherlich wäre es auch schön, die Landkarten im Atelier aufzuhängen und sich daran zu erfreuen. Doch viel schöner finde ich es, sie weiterzugeben und ihnen so einen anderen Zweck zu verleihen. Nun werden sie überraschen und mehr Menschen erreichen.

Die Bücher

Auf dem Markt in London fand ich viele deutschsprachige Bücher. Meist stammten diese Bücher von Deutschen, die in Dalston gelebt hatten und dort gestorben waren. Darunter waren Exemplare aus den 20er Jahren, die über Deutschland erzählten und die Menschen vielleicht als Erinnerung an das Land gedient hatten, das Deutschland einst für sie gewesen war und das sie verlassen hatten; Menschen, die sich von London aus mit Deutschland beschäftigten, auch wenn sie gar nicht mehr deutsch waren, oder sich nicht mehr als deutsch definierten.

In einem Buch gibt es zahlreiche eingeklebte, wunderschöne Wappenzeichnungen, das fand ich unfassbar spannend. Jedes Wappen deutet ja darauf hin, dass in dem betreffenden Ort, und sei er noch so klein, irgendwann einmal etwas geschehen ist. Diese Bücher haben mich auch darauf gestoßen, dass es etwas mehr zu berichten gibt über mein Heimatland, als mir bis dahin bewusst war. Meine Zeit im Ausland hat mich das anders wahrnehmen lassen.

Ich bin dann oft zu meinen Eltern nach Nürnberg gereist und war auch viel im Osten des Landes unterwegs. Nicht weil ich den DDR-Charme so interessant gefunden hätte. Mich faszinierte eher, wie stark die Vergangenheit, die Geschichte Deutschlands hier noch spürbar war. Alles wirkte so unverändert.

Während dieser Reisen sammelte ich Inspirationen und die Grundlagen für viele der Geschichten, die ich heute mit meinen Kollektionen erzähle. Wenn ich von meiner Arbeit spreche, beschreibe ich sie oft als einen Raum. Mit jeder Kollektion, jedem Produkt, jeder Serie leuchte ich neue Nischen dieses Raumes aus. Meine Arbeiten sind Geschichten, die aufeinander aufbauen und ineinandergreifen.

Die Gläser und Flaschen

Oft funktioniert das Erzählen dieser ineinandergreifenden Geschichten so: Lange Zeit existiert eine grobe Idee, die irgendwann durch ein Objekt, auf das ich stoße, konkret wird. Das ist zum Beispiel gut an den etwa 160 Einweckgläsern zu erkennen, die heute bei mir im Fenster stehen. Sie sind voller Obst und Gemüse, das bereits in den 60ern eingeweckt wurde. Ein Freund entdeckte die Gläser vor ein paar Jahren in seinem Keller. Es sieht toll aus, wenn das Licht durch sie hindurchfällt.

Ich hatte schon lange mit der vagen Idee, eine Körperpflegeserie herzustellen, gespielt, nur war mir nie ganz klar gewesen, wie ich das anstellen sollte. Die Geschichten meiner Kollektionen basieren oft auf besonderen Figuren, Die Studenten von Freiburg war eines meiner ersten Kollektionsthemen, Vagabund hieß eine andere, oder Kumpanen. Einige dieser Figuren wollte ich wiederaufleben lassen.

Und dann half mir die Anmutung der Gläser und der eingeweckten Inhalte, den Plan zu konkretisieren. Die Pflegeserie heißt Tradition, die Produkte sind in Glasflaschen verpackt und werden in einem handwerk- lichen Betrieb basierend auf althergebrachten Rezepturen hergestellt. „Korn Brand“ ist zum Beispiel ein Muskeltonikum und „Roter Preßsack“ eine Handseife. Im Badeöl „Deutsche Eiche“ ist ein Eichenblatt mit einer Eichel konserviert. Auf den Verpackungen finden sich Zeichnun- gen der dazu passenden Figuren, wie der Student von Freiburg auf dem Haarshampoo „Weizen Bier“.

Schuhputzbürsten

Die Bürsten stammen aus dem Mannsputzzeug der Schweizer Armee. Ich hatte die Sets ursprünglich wegen eines Zwirngarns gekauft, das darin war. Das Garn habe ich bereits verwendet, die Bürsten liegen hier noch herum.

Für meine Kunden ist oft gar nicht genau ersichtlich, welche Geschichten in den Materialien stecken. Dieses Garn könnte auch einfach nur ein Garn sein – es steht ja nicht dabei, woher es stammt und was damit schon passiert ist. Ich mag es trotzdem, meinen Kleidungsstücken solche Geschichten mitzugeben.

Neben den USA funktionieren daher meine Arbeiten vor allem in Japan so gut, das war von Anfang an so. Etwa 55 der insgesamt gut 70 Geschäfte, die wir beliefern, sitzen in Japan. Die Menschen dort kennen sich wahnsinnig gut aus. Ich glaube, sie sind die genauesten aller Kunden, und daher vielleicht auch die schwierigsten. Unsere Kunden beschäftigen sich dort so intensiv mit den Dingen, die wir anbieten, dass sie teilweise besser Bescheid wissen als wir.
Dort gibt es ein tiefgreifendes Interesse für Produkte. Je spezieller die Dinge sind, desto besser kommen sie an. Gerade weil es heute solch ein Überangebot gibt, besonders in Japan, begeben sich die Menschen auf die Suche nach den Diamanten, was der Deutsche in seiner Bräsigkeit vielleicht gar nicht macht.

Während die Japaner besonders die Geschichten begeistern, die ich mit meiner Mode erzähle, sind es für die Amerikaner die Materialien, die ich wähle. Am liebsten arbeite ich mit schweren Woll- und Baumwollstoffen, beispielsweise Deutschleder. Das ist so schwer und hart, da fluchen die Näherinnen in den Produktionsstätten oft. Ich sage immer, meine Mode ist eine Erdgeschichte, die Materialien müssen zu einem sprechen, man muss sie anfassen wollen. Nun arbeite ich ja ausschließlich mit deutschen Produktionsstätten, die meisten befinden sich im tiefen Brandenburg, 50 Kilometer von Berlin entfernt. Als ich anfing und auf der Suche nach langfristigen Geschäftsbeziehungen war, war die Zusammenarbeit nicht leicht. Die Leute dort hatten ihr Handwerk in der DDR erlernt, oft fehlte ihnen die Passion. Ich musste Verbindungen zu ihnen aufbauen, sie involvieren, ihnen Feedback geben.

Ich mag solche Herausforderungen. Die Materialien, mit denen ich immer wieder arbeite, Deutschleder, Loden oder Leinen, kannten viele gar nicht. Heute ist das einfacher, da weiß jede der Näherinnen, wann ein Stoff gut ist und wann nicht. Nicht alle haben Interesse für die Marke Frank Leder, aber sie wissen, dass die Kleidungsstücke besonders sind und zu einer eigenen, besonderen Welt gehören. Dennoch fluchen sie immer mal wieder oder weigern sich. Gerade habe ich einen Wollstoff für einen Mantel ausgesucht, der ist 1.400 Gramm schwer – normal wäre ein Gewicht zwischen 400 und 500 Gramm. Da kann ich mich schon wieder auf etwas gefasst machen!

Der Acker

Ich entwickle immer wieder Objekte, die nichts mit Mode zu tun haben. So wie die Ähren aus Bronze, eine Zusammenarbeit mit einem befreundeten Goldschmied. Insgesamt haben wir schon 30 davon gegossen, am Ende sollen es 250 werden. Wir werden sie in einen eben- falls aus Bronze gegossenen Ackerabdruck stecken, so dass ein Beistelltisch entsteht.

Solche Projekte einfach erst einmal zu machen und dann zu sehen, was daraus wird, ob man das verkauft oder nicht, das bringt mir Freude. Auch wenn ich mit Dingen wie diesen immer wieder aus der Mode ausbreche, bleibt sie für mich die beste Ausdrucksform. Mode ist vielschichtig, das ist das Schöne. Man skizziert seine Ideen nicht nur in Form eines Bildes, einer Skulptur oder einer Performance, sondern es passiert noch viel mehr damit. Das können auch ungewöhnliche Präsentationsformen sein. Meine erste Kollektion zeigte ich auf keinem der gängigen Laufstege: Es war Fashion Week in London und die Besucher einer Modenschau warteten, wie in England so üblich, brav in einer Schlange auf den Einlass. Meine Models standen auch in dieser Schlan- ge und traten mit einem Mal hervor. Wir nutzten diesen Moment des Wartens – es waren ja eh alle wichtigen Leute vor Ort – und präsentierten dort die neue Kollektion.

Ein anderes Mal, 2004 war das, parkte ich am Eingang einer der wichtigen Modemessen mit einem kleinen Lastwagen. Darauf stand groß „Import Export“, das war der Name der Kollektion. Der Lastwagen war wie ein kleiner Showroom hergerichtet. Die japanischen Einkäufer waren begeistert. So ging es los.

Der Rehkopf

Gemeinsam mit dem Künstler Florian Horwath habe ich im Jahr 2008 Goldzahn-Kettenanhänger hergestellt, Abgüsse der echten Zähne von Rehen. Bestellte ein Geschäft die Kettenanhänger, erhielt es auch den Schädel des Rehs. Die Zähne waren im Gebiss platziert und konnten so im Geschäft präsentiert werden. Kaufte jemand den Anhänger, musste der Verkäufer dem Reh also erst einmal den Zahn ziehen, um ihn dann zu übergeben.

So wie diese Goldzähne sind meine Entwürfe oft auf sehr kleine Stückzahlen limitiert – wie viel schöner ist es, ein Kleidungsstück zu kaufen, von dem man weiß, dass es nicht viele andere tragen! So können wir auch viel mehr Zeit und Herzblut in jedes Teil hineinstecken. Dass ich mir das leisten kann, ist mein Luxus.“

CODE Magazine | März 2014