Franziska Klün

Ein Schuh des Anstoßes

März 2013 | Zeit Online: Jemand kopiert das erfolgreichste Schuhmodell aller Zeiten, den Converse Chuck All Star, nennt ihn Karma Chakh und sagt: Ich produziere den gleichen Schuh, nur besser. Darf der das?

Eigentlich ist Van Bo Le-Mentzel Architekt. Von Schubladendenken hält er allerdings nicht viel, auch, wenn es seine Profession betrifft. Im Jahr 2010 entwarf Le-Mentzel Designermöbel, die jeder günstig nachbauen konnte. Der Berliner taufte sie Hartz-IV-Möbel, veröffentlichte die Bauanleitung im Internet und erregte mit diesem analogen Open-Source-Projekt ziemlich viel Aufmerksamkeit.

Jetzt hat Le-Mentzel ein neues Projekt. Wieder arbeitet er ohne Beton, diesmal auch ohne Holz, dafür mit Stoff und Kautschuk. Er möchte das erfolgreichste Schuhmodell aller Zeiten, den Chuck Taylor All Star von Converse, kopieren. In Rot. Ohne den bekannten Stern als Logo, dafür mit aussagekräftigem Schriftzug auf der Sohle: „Stop Exploitation“ soll da stehen oder „Karma Foot Print“. Karma Chakhs heißen das Projekt und die roten Turnschuhe. Für ihre Produktion sammelte Le-Mentzel auf der Crowdfunding-Plattform startnext bereits rund 32.000 Euro.

Insgesamt 448 Paar Karma Chakhs wurden über startnext bestellt, je für 69 Euro. Die Originale kosten 69,95 Euro. Seine Karma Chakhs möchte Le-Mentzel in Pakistan, Sri Lanka und Indien unter „vertrauenswürdigen Produktionsbedingungen fertigen lassen“, wie er sagt. Er möchte damit eine Debatte auslösen. Weil das Unternehmen Nike, zu dem Converse gehört, schon oft wegen dubioser Produktionsweisen in die Kritik geraten sei, möchte der Kreative nun demonstrieren, dass die Konsumenten den begehrten Schuh auch selbst und garantiert fair herstellen können. Wenn sie sich – mit seiner Hilfe – zur Crowduction zusammenschließen. Die Frage ist: Darf Van Bo Le-Mentzel das?

„Markenprodukte nachzuahmen, ist immer brandgefährlich“

Voneinander abzukupfern gehört in der Mode zum Geschäft. Was der eine Plagiat nennt, Diebstahl oder Ideenklau, bezeichnet der andere als Inspiration, Einfluss oder Referenz. Eine Anekdote, die in der Modebranche erzählt wird, handelt davon, wie eine berühmte Modeschöpferin ein Vintage-Geschäft in Paris besucht, dort eine Balenciaga-Jacke entdeckt, sie eingehend betrachtet und schließlich sagt: „Die kaufe ich. Aber nachmachen werde ich sie auch.“ Das kleine Berliner Modelabel JR Sewing, das den Spruch „Is‘ mir egal, ich lass das jetzt so!“ auf T-Shirts, Flaschenöffner und Kapuzenpullis druckte weiß, wie sich das anfühlt – seit der gleiche Satz eines Tages auf den Oberteilen einer großen Discount-Kette prangte. Mit geschickt gewählten Zitaten lässt sich eben Umsatz machen. Die Designer der Modekette Zara beherrschen diese Kunst besser als viele andere.

Die ZEIT stellte schon 2005 fest, dass der spanische Konzern internationale Designermode am erfolgreichsten kopiert. Für die Strategie des Unternehmens findet die Unternehmensberatung McKinsey gleich mehrere Bezeichnungen: Quick-Response-Ansatz, Copy-Cat-Verhalten, Fast-Follower-Prinzip. Innerhalb weniger Wochen hängt die neueste Designermode zu sehr viel günstigeren Preisen in den Filialen der spanischen Kette. Zara schreckt weder davor zurück, Pumps mit roten Sohlen zu versehen, wie das französische Luxusschuhhaus Louboutin, noch davor, Katzenprints von Miu Miu oder Taschendesigns von Jil Sander zu übernehmen. Manche Modeblogs veranstalten mittlerweile Ratespiele, bei wem sich die Spanier aktuell so bedienen. Wenn also scheinbar alle einander ständig zitieren, beeinflussen, kopieren, ist da auch eine Aktion wie die von Le-Mentzel erlaubt?

Franz Wegener ist Rechtsanwalt in Berlin und auf Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrecht spezialisiert. Demnächst veröffentlicht er zusammen mit seinem Partner Dirk Adamaszek ein Buch zum Thema. Rechtsgrundlagen für Kreative will ein Leitfaden für juristische Grauzonen sein: Rechte von Urhebern, Designschutz, Kreation und Etablierung der eigenen Marke. Auf die Frage, ob Le-Mentzel ein rechtliches Risiko eingeht, sagt Wegener: „Markenprodukte nachzuahmen, ist immer brandgefährlich. Aber wie wir in meinem Berufsstand zu sagen pflegen: Es kommt darauf an“.

Worauf es ankommt, ist kompliziert. Sehr kompliziert. Wegener und Adamszek schreiben in ihrem Buch einleitend: „Das Modedesign hat eine rechtliche Sonderstellung.“ Anders als in der Fotografie, bei Filmen oder in der Musik lassen sich urheberrechtliche Fragen wie „Wem gehört ein Look, wem ein Modedesign?“ nur mithilfe von Anwälten, Experten und unter großem Zeitaufwand beantworten.

Wagt man sich an eine Zusammenfassung der Rechtslage, lässt sich sagen: In der Mode genießt kaum ein Entwurf urheberrechtlichen Schutz. Wenn überhaupt beginnt der erst auf der Ebene der Haute Couture, bei Kleidern, die wie Kunstwerke oder Skulpturen anmuten. Alltagsmode aber gilt als Gebrauchsgegenstand, weshalb ein bestimmtes Jeans-, Ärmel- oder Turnschuhdesign in der Regel keinem bestimmten Designer gehört.

Hinzu kommt, dass urheberrechtlicher Schutz nur dann gewährleistet ist, wenn ein Entwurf als echte Neuheit gelten kann. Da es im Grunde aber unmöglich ist, Kleidung zu entwerfen, die nicht in irgendeinem Kontext zur Vergangenheit steht, ist das Urheberrecht in der Mode kaum relevant.

Apple mahnt jeden ab, der irgendein Stück Obst auf etwas druckt

Die meisten Label wählen daher einen anderen Weg: Sie lassen sich die Marke schützen, die das Produkt prägt. Bei Adidas etwa sind die bekannten drei Streifen nicht nur wiederkehrendes Design-Element, sondern zugleich eine geschützte Marke.

„Brandgefährlich“ ist Van Bo Le-Mentzels Aktion also nicht wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Urheberrecht, es sind vielmehr das Geschmacksmuster- und das Markenrecht, die ihm Probleme bereiten könnten. Das Geschmacksmusterrecht gilt als „das kleine Urheberrecht“ der Modebranche. Eine allgemeine Regel besagt: Stellt man Original und Kopie nebeneinander, müssen beide Entwürfe für den durchschnittlichen Betrachter klar zu unterscheiden sein. Oft ist Fake also eine Frage der Details.

Laut Wegener wäre es bei den Karma Chakhs relativ einfach, diese Unterscheidbarkeit zu schaffen: Würde Le-Mentzel auf ein kreisförmiges Logo auf Knöchelhöhe, wie beim Original üblich, verzichten, die Chucks-typischen Metall-Ösen für die Schnürsenkel weglassen und auch die zwei schwarzen Streifen von der Sohle entfernen, „dann hätte man eine ganz andere Rechtslage“, sagt Wegener. Tut Le-Mentzel all das nicht, besteht eine Verwechslungsgefahr. Da hilft es auch nicht, dass auf dem Logo kein Stern zu sehen ist. „Der Betrachter könnte glauben, beim Karma Chakh handele es sich um eine Sonderedition von Converse“, sagt Wegener.

Streifen, Logo, Ösen: All diese Attribute sind Eigenarten des Turnschuhs, die Converse als Geschmacksmuster im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) oder im Register eines anderen Landes eingetragen haben könnte. Da eine zuverlässige Recherche nach registrierten Designs sehr aufwändig ist, vermeidet man die Übernahme solcher Eigenarten besser ganz.

„Richtig schwierig“, sagt Wegener, „wird’s beim Namen.“ Converse könnte seine Marke verletzt sehen. Auch wenn sich Chakh und Chuck unterschiedlich schreiben, birgt bereits eine ähnliche Aussprache das Risiko einer Verwechslungsgefahr. Hätte Le-Mentzel seinen Schuh beispielsweise Karma Shoe getauft, wäre die Situation eine andere. So klingt es wie das Original und ist neben der Markenrechtsverletzung auch eine Rufausbeutung, da – so die Gesetzeslage – Le-Mentzel von dem Image der Marke Converse und dem Modell Chuck profitiert.

Noch ist zwar kein Anwaltsschreiben von Nike bei ihm eingetroffen, aber Le-Mentzel bewegt sich mit seinen Karma Chakhs auf dünnem Eis. Der Initiator selbst wiegelt ab: „Solch ein kleines Projekt, das hat doch keine Relevanz für die.“ Entscheidend ob Converse sich herausgefordert fühlt und vor Gericht zieht, ist in solchen rechtlichen Belangen die generelle Firmenpolitik. „Es gibt Marken wie Apple“, sagt Franz Wegener, „die mahnen jeden ab, der auch nur irgendein Stück Obst auf etwas druckt. Die rechtlichen Erfolgsaussichten sind für große Unternehmen zweitrangig.“ Wichtig ist den Firmen, die eigene Marke zu verteidigen – notfalls mit Klagedrohungen. „Ob ein Sachverhalt nun wirklich rechtswidrig ist oder nicht: Manche Unternehmen haben das nötige Kleingeld auch in die zweite oder dritte Instanz zu gehen und einfach zu warten, bis die anderen einknicken.“ Kleine Unternehmen können ein Prozesskostenrisiko von etlichen Tausend Euro oft nicht tragen und ändern unter Druck vorsichtshalber ihre Marke oder ihren Entwurf. Auch wenn sie am Ende vielleicht Recht bekommen hätten.

März 2013 | Zeit Online
Foto: Van Bo Le-Mentzel