Franziska Klün

Flucht der Designer

Oktober 2014 | Petra: Berlin ist eine wichtige Mode-Metropole? Von wegen. Viele Labels verlassen die Hauptstadt, andere geben ganz auf. Können Designer in Deutschland eigentlich etwas werden?

Die Lage ist vertrackt. Gerade erst wurde Deutschland zur aufstrebenden Mode-Nation erklärt, da bröckelt das Bild schon wieder gewaltig. Dabei wurde besonders in Berlin in den vergangenen Jahren viel erreicht. Hunderte junger Modelabels entstanden hier, mit ihnen eine bunte, zweimal jährlich tagende Messelandschaft und sogar eine eigene Fashion-Week. Im Sommer vor zwei Jahren waren sich noch alle einig: Da stimmte die Qualität der Kollektionen, die Vielseitigkeit, das Niveau. Nun habe die deutsche Mode endlich das Zeug, zu etwas wirklich Großem heranzuwachsen, hieß es. 14 Monate später scheint kaum einer mehr daran zu glauben.

Stattdessen erreichen uns nichts als schlechte Nachrichten aus der Hauptstadt. So verkündete die Bread & Butter kürzlich, ihrer Heimat Berlin in Zukunft zumindest teilweise den Rücken kehren zu wollen. Ab sofort schlagen die Veranstalter ihre Zelte nur noch einmal pro Jahr am Flughafen Tempelhof auf, da- zwischen ziehen sie es vor, in Seoul und Barcelona zu gastieren. Und dann das Vorzeigelabel Firma: Nach 18 Jahren soll diesen Winter Schluss sein mit der geradlinigen Mode aus der Hauptstadt. Oder Achtland: die große Designhoffnung hat Berlin gegen London eingetauscht, mit der Begründung, die nächsten nötigen Schritte von Deutschland aus nicht machen zu können. Arrivierte deutsche Modehäuser wie Boss und Rena Lange präsentieren mittlerweile anderswo ihre Kollektionen, so auch das Berliner Duo Kaviar Gauche. Um andere, eben noch gefeierte Marken wie Blame oder Issever Bahri ist es still geworden. Die Designerinnen von Blame gaben bekannt, sie müssten erst einmal anderweitig Geld verdienen, mit ihrer Mode sei das bislang nicht gelungen. Und Kostas Murkudis, eines der wichtigsten Designtalente Deutschlands, will in Berlin vorerst nicht weiter mitspielen, weil er „dieses nationale sich-selbst-Feiern in einer Stadt ohne Konkurrenz nicht so prickelnd“ fände, wie er kürzlich im „Spiegel“ erklärte. Viele sind überzeugt, die genannten Beispiele sind keine Einzelfälle, sondern Vorboten eines traurigen Wandels.

War’s das schon wieder mit der jungen deutschen Modenation? Und kann man als Designer in Deutschland vielleicht einfach nichts werden?

Berlin-Charlottenburg an einem Vormittag Ende Juli. Carl Tillessen und seine Partnerin Daniela Biesenbach stehen in einem ihrer Shops. Die beiden sind seit über 20 Jahren in der Mode tätig, vor 18 Jahren gründeten sie ihr eigenes Label und nannten es Firma, ein Name so schlicht, wie ihre am Bauhaus orientierte Mode. Seit sie beschlossen haben, Ende dieses Jahres aufzuhören, trifft man sie häufiger in ihren Geschäften an. Vorher hatten sie keine Zeit hier zu stehen und die Kunden zu beraten. Nun holen sie das nach. Wenn es um erfolgreiche Beispiele aus Berlin ging, fielen meistens die Namen Tillessen und Biesenbach. Macht’s so wie Firma, hieß es. In diesen Wochen erreichen Tillessen viele Mails, deren Absender sich über die endgültigen Neuigkeiten bestürzt zeigen.

Die Frage, die zwischen den Zeilen meist mitschwingt, lautet: Wenn Ihr es nicht schafft, wer schafft es dann?

„Wir sind nicht insolvent“, sagt Tillessen. „Aber wir wollen nicht weiter gegen Statistiken ankämpfen“. Er sagt das ohne Aufregung oder Wut, eher wirkt er entspannt, fast gelöst. Um nur eine der Statistiken zu nennen: Während im Jahr 2000 noch 35000 Boutiquen in Deutschland zu finden waren, sind es heute noch 20000, Tendenz weiter sinkend. Stattdessen werden die Einkaufsstraßen in Klein- wie Großstädten immer austauschbarer. Tillessen sagt, es sei wie mit einer Beziehung, die seit langem nicht mehr läuft. „Es war eine langwierige, schmerzhafte, aber auch erleichternde Entscheidung.“ Als einer ihrer wichtigsten Kunden insolvent ging, ihnen aber noch 43000 Euro schuldete, brauchten Tillessen und seine Partnerin sich nur anzusehen, um zu wissen: Jetzt reicht’s. „Wir wollten nicht mehr auf einem Niveau stagnieren, das noch immer an Selbstausbeutung grenzt“. Ohne Urlaub, ohne einen Jahresabschluss, der hoffen lässt, jetzt geht’s voran. Zwar waren alle immer zufrieden – Verkäufer wie Käufer – aber: Gewannen sie neue Geschäfte dazu, schlossen dafür mindestens genauso viele. Tillessen sagt, er glaubt, sie hätten mit ihrer Marke viel richtig gemacht, und jetzt hören sie zum richtigen Zeitpunkt auf.

Würde er jungen Talenten heute davon abraten, ein Modeunternehmen zu gründen? „In jedem Fall würde ich es nicht mehr von Berlin aus versuchen“, sagt Tillessen. Es ist die lang gewachsene Infrastruktur einer Modestadt, die Berlin fehlt, die man als junges Label aber braucht: wirklich gute, professionelle Produzenten, Lizenzpartner und Investoren sind hier kaum bis gar nicht zu finden, sondern höchstens solche, „die glauben, sie investieren 100000 Euro in eine Marke und können damit schon Gucci-Group spielen.“ Wirklich große Player wissen, dass es eher sieben- bis achtstellige Beträge braucht, um eine Marke groß zu machen.

„Ein Bernard Arnault sucht nach jungen Talenten nicht im Zelt der Berliner Fashion Week“.

Eine, die das deutsche Modegeschehen noch länger beobachtet als Carl Tillessen, ist Melissa Drier. Seit Mitte der 80er-Jahre ist sie die Deutschland-Korrespondentin der amerikanischen Modefachzeitung „Women’s Wear Daily“. Sie sagt: „An der jetzigen Situation gibt es nichts schön zu reden, wir sind sicher an einem Wendepunkt angelangt“.

Das Problem ist der deutsche Markt. Extrem sicherheitsfixierte Händler warten, bis neue Marken im Ausland groß geworden sind – erst dann trauen sie sich, diese auch ihren Kunden anzubieten. „Im Grunde gibt es im deutschen Handel keinerlei Unterstützung für junge Talente“, sagt Melissa Drier. Keine Investorenstruktur, keine Lobby, keine Angela Merkel. Die Kanzlerin besucht zwar sämtliche Messen wichtiger Branchen, auf der Modewoche aber war sie noch nie zu sehen. Dabei ist Mode ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, deutschlandweit sind 120000 Menschen in der Branche tätig. Mit der Entscheidung von einem Haus wie Boss, nicht mehr im Rahmen der hiesigen Fashion Week zeigen wollen, sendet die Marke ein Signal, das Melissa Drier aufseufzen lässt. Kürzlich kommentierte einer der wichtigsten deutschen Einzelhändler es so: „In keinem anderen Land wäre so etwas möglich“. Muss man also Berlin verlassen, um groß zu werden? „Sie brauchen nicht gleich aus Berlin wegzuziehen, aber sie müssen ihre Kollektionen auch anderswo präsentieren.“

Trotzdem, und daran hält Melissa Drier fest: Genau das kann sich noch ändern. Wenn die Guten, die es aktuell zweifelsohne in Berlin gibt, anfangen sich selbst zu helfen. „Sie müssen raus aus dieser Haltung, kommt und rettet uns.“ Stattdessen müssen sie sich eine Aufmerksamkeit verschaffen, die internationale Strahlkraft hat. Zum Beispiel, indem sie sich zusammenschließen und als Gruppe vermarkten, wie einst die Antwerp Six. „Seid witzig, seid verrückt, seid unerwartbar!“, sagt Melissa Drier. Und vor allem: Seid es jetzt.

Oktober 2014 | Petra