Für die Luxusbranche bin ich ein Albtraum
Mai 2015 | Lufthansa Exclusive: Sie ist seit über 40 Jahren im Geschäft und eine Institution in der Modewelt: Suzy Menkes, wichtigste Kritikerin der Branche. Uns gibt sie hier Auskunft über Prinzipien, Privates und ihre eigene Prominenz
Sie sitzt in der ersten Reihe. Immer. Suzy Menkes hat sich diesen Platz erkämpft. Bei der ersten Runway-Show, die sie je besuchte, musste sie sich noch als Putzfrau verkleidet in den Saal schmuggeln. Das ist lange her, heute ist sie die wohl bekannteste Modekritikerin der Welt. Nach 25 Jahren als Mode-Berichterstatterin der International Herald Tribune hat sie vergangenes Jahr umgesattelt: Als „International Vogue Editor“, wie es auf ihrer Visitenkarte heißt, ist Suzy Menkes jetzt die Chef-Expertin für alle Onlineseiten des legendären Magazins. Wieder in der ersten Reihe. Dass sie Deutungshoheit hat, beweist auch ihre 2001 ins Leben gerufene internationale Luxus-Konferenz. Dafür trommelt Menkes die Crème de la Crème der Branche zusammen, von Karl Lagerfeld bis Tory Burch. Wohin geht die Reise für Nobelmarken? Ein jüngeres Publikum will gewonnen werden, das Internet macht auch vor der Premiumklasse nicht halt. Zeit für ein Gespräch mit Menkes in ihrem Londoner Büro.
Ganz zuerst und vorab: toller Nagellack!
Interessant, dass Ihnen der auffällt. Ich habe ihn vor Jahren in Berlin entdeckt, heute wird die Farbe ständig von anderen nachgemacht.
Schon sind wir im Thema: Luxus und Einzigartigkeit. Diesen April befasste sich die Konferenz mit „Hard Luxury“. Welche Frage steckt dahinter?
Das Thema steht nicht nur im wörtlichen Sinne für „harten Luxus“, also für Uhren und Schmuck. Sondern auch für die harten Zeiten, die der Luxus-industrie bevorstehen.
Sie sagen, Luxus drehe sich heute genauso sehr um Hightech wie um High Heels. Ist diese Veränderung der Grund für die harten Zeiten?
Nicht der einzige Grund, aber einer davon. Handtaschen zum Beispiel, das waren früher keine Objekte. Sie waren auch kein Ausdruck von Persönlichkeit oder Sexualität. Vor zehn Jahren hätte sich doch niemand vorstellen können, dass ein iPhone mal mit einer Handtasche konkurrieren wird. Die Preise für Taschen sind in den vergangenen Jahren explodiert, heute erscheinen 680 Euro als ein akzeptabler Preis. Für ein Smartphone ist das sehr teuer. Es sind aber dieselben Menschen, die beide Dinge kaufen.
Welche Erwartung hat heute ein Käufer, der viel Geld für schöne Dinge ausgeben will?
Einerseits haben wir es mit einem globalen Markt zu tun. Andererseits wird jede Reaktion in jedem Land genau unter die Lupe genommen. In Europa wollen die Menschen wissen, wer das Produkt herstellt und wo das geschieht. In den neuen Märkten werden diese Fragen nicht gestellt, auch nicht in den Medien. Die Konsumenten dort sind Neulinge in der Welt des Luxus, niemand hat ihnen erklärt, was die Kriterien für Luxus sind, dass es viel mehr ist als ein Label und ein Preis. Indien hat, anders als China, die eigene Tradition der schönen Dinge nie aus den Augen verloren. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Inder eine ausgereiftere Einstellung zum Luxus hat als jemand etwa aus Südkorea, dem es vor allem um einen neuen Kick geht.
Für die Konferenz versammeln Sie die wichtigsten Menschen der Luxusindustrie. Verstehen Sie, dass das, Pardon, etwas inzestuös wirkt?
Nicht jeder, von dem man meint, er oder sie sei der Hauptgewinn, ist es auch. Man wird immer wieder überrascht. Auch umgekehrt: Plötzlich bringt jemand, der bis dato unbekannt war, die Zuhörer zum Nachdenken. Aber inzestuös? Ich glaube nicht. Es ist wahrscheinlich die einzige Gelegenheit für Entscheider auf dem CEO-Level, so offen miteinander zu reden. Jeder hat die Freiheit, ehrlich zu sagen, was los ist. Weiter unten in der Hierarchie kann sich kein Mitarbeiter hinstellen und sagen: „Wir sind beunruhigt darüber, wie sich China entwickelt.“
Und? Machen die Bosse das?
Um ehrlich zu sein, bis jetzt ist keiner aufgestanden und hat groß verkündet: „Es geht bergab mit uns.“ Aber kann man es ihnen vorwerfen?
Die erste Show, die Sie je besuchten, soll von Chloé gewesen sein. Angeblich haben Sie sich als Putzfrau verkleidet, um hineinzukommen.
Das war Ende der sechziger Jahre, ich war in Paris, studierte Mode. Bei der Show hätte man mich fast rausgeworfen, weil ich einen Hut abmalte. Ich lief dunkelrot an. Das muss man sich mal vorstellen! Und heute? Geht alles innerhalb von Mikrosekunden um die Welt. Damals durfte man bis drei Monate nach der Show nichts veröffentlichen.
Wie oft haben Sie sich reingeschlichen?
Jedes Mal, wenn ich keine Einladung bekam! Heute beobachte ich diese jungen Redakteure, die sich aufregen, weil sie nicht dort platziert werden, wo sie ihres Erachtens nach hingehören. Wir waren damals sehr kreativ. Ich hatte bei den Shows grundsätzlich Stifte in allen Farben dabei. Erhielt ich nur eine „Standing“-Einladung, schaute ich bei jemand anders auf die Karte, übermalte das Standing mit Tipp-Ex und kopierte den Schriftzug. Noch heute versuche ich Studenten reinzuschmuggeln, die für eine Show extra nach Paris fahren.
Wenn Anna Wintour in der ersten Reihe sitzt, verrät sie anhand kleiner Gesten, was sie denkt. Sind Sie ähnlich durchschaubar?
Das finden Sie mal schön selbst raus! Heute traut man sich ja kaum, irgendeine Reaktion zu zeigen, nicht mal eine E-Mail zu beantworten. Schließlich ist nur Sekunden später alles auf YouTube zu sehen.Die Zuschauer in der ersten Reihe sind heute viel beherrschter, es will ja keiner erwischt werden. Giorgio Armani hat mich nach einer Show mal gefragt, warum ich das Notebook mittendrin zugeklappt habe. Er konnte hinter der Bühne über Monitore die Zuschauer beobachten. Mittlerweile ist das normal.
Wann haben Sie realisiert, dass Sie selbst zu einer Marke geworden sind?
Ich denke über mich nicht als die Marke „Suzy“ nach. Ich mache ja kein Geld damit – außer dem, was ich hier verdiene. Im Gegenteil: Mich erstaunt, wie sehr diejenigen, die smart über die Szene berichten, im Radar der Luxusbrands auftauchen. Es käme mir nicht in den Sinn, mich selbst mit einem Outfit zu fotografieren. Ich habe nie Geschenke von Herstellern angenommen und werde das auch nie tun. Ich verstehe, es ist eine neue Zeit und eine neue Generation, aber ich kann da nicht mehr mitmachen.
Sie sollen auch nie eine private Einladung eines Designers angenommen haben. Warum denn nicht?
Auf Valentinos Jacht bin ich nie eingeladen worden (lacht). Ich habe ein eigenes Leben, eine Familie und Freunde. Mein Leben beginnt nicht in der Modewelt, es endet auch nicht dort.
Aber Sie haben doch sehr viele Gemeinsamkeiten mit den Protagonisten dieser Welt …
Ich kenne so viele seit ihren Anfängen, gerade wenn sie Erfolg haben, verändern sich die meisten enorm. Dann gibt es meine Position, die der Journalistin. Nimmt man eine Einladung an, wird es schwierig, das mit dem Beruf in Einklang zu bringen. Wir sind freundlich zueinander, keine Freunde.
Gehen Ihnen Verrisse eigentlich leicht von der Hand?
Man muss keinen blutjungen Designer, der sich gerade ausprobiert, verreißen, genauso wenig wie jemanden, der seit Längerem offensichtlich nicht mehr sein einstiges Niveau halten kann. Oft ist es nur eine Kleinigkeit, die heraussticht, und man denkt: Ups, was ist das? Kreative wie Picasso, die sich ein Leben lang auf einem ganz hohen Niveau weiterentwickeln, sind die absolute Ausnahme. In der Regel sind es sieben Jahre, die jemand braucht, bis er auf dem eigenen kreativen Höhepunkt angekommen ist, und weitere sieben Jahre, die er dieses Niveau halten kann. Es ist sehr ungewöhnlich, eine neue, außerordentliche Richtung bei jemandem zu entdecken, der seit 15 Jahren im Geschäft ist. Doch wenn jemand, der eigentlich in seiner vollen Blüte steht und sich entsprechend vermarktet, nicht liefert, was man von ihm erwartet, dann sollte man das auch so ehrlich und direkt aufschreiben.
Ist das Business heute härter für ein junges Talent?
Ich erinnere mich an die erste Valentino Couture, die gab es einmal im Jahr. Jetzt müssen die Designer bis zu acht Kollektionen machen. Sie müssen unglaublich hart arbeiten. Raf Simons hat die ersten Kollektionen mit seinen Freunden fertiggestellt. Jetzt, als Chefdesigner von Dior und mit seiner eigenen Menswear-Linie, hat er kaum Zeit zum Atmen. Ich habe ihm auf der letzten Frieze-Kunstmesse in London eine SMS geschickt: „Wo bist du?“ Er schrieb: „Ich kann nicht kommen, wir haben zu viel zu tun.“ Er war sonst immer da. Ein sehr gutes Beispiel, dass es für Designer kaum noch private Zeit gibt.
Helmut Lang ist ausgestiegen und hat eine Farm, Gaultier macht nur noch Haute Couture. Sind das die müden Krieger?
Es war nicht Gaultier, der Prêt-à-porter aufgab, es war die Firma, die einen Schlussstrich zog. Unabhängig davon: Ich bin sehr unglücklich über eine Entwicklung wie „Fast Fashion“, wo alle sechs Wochen neue Stücke auf den Markt geworfen werden – was nur mit einer modernen Form der Sklaverei funktioniert. Für mich ist das moralisch höchst verwerflich. Warum muss es so viele Shows geben? Ich verstehe dieses mehr, mehr, mehr nicht.
Gehen Sie in Läden wie Primark?
Natürlich! Ich will die Branche verstehen. Kaufen würde ich dort nie. Ich glaube nicht, dass ein Kleid, das weniger als 20 Euro kostet, auf eine Art und Weise hergestellt sein kann, die gut für die Umwelt und die Menschen ist.
Eine Fashion Week nach der anderen, Saison für Saison. Warum tun Sie sich das noch an, warum erholen Sie sich nicht mal?
Keine Angst, das mache ich auch. Ich habe ein Privatleben, das ich sehr genieße. Aber ich mag meinen Job, er ist spannend und stimulierend. Mode reflektiert immer, was in der Welt passiert.
Wie konsumieren Sie privat Luxus?
Das ist für mich etwas sehr Persönliches, eine Berührung, eine Massage, das Gefühl danach. Ich würde ein Luxusgut nie online kaufen, ich brauche das Haptische. Ich bin eigentlich ein Albtraum für die Luxusbranche, denn ich liebe Dinge, die halten. Von meiner Kleidung erwarte ich, dass sie so gut funktioniert und verlässlich ist, wie auch ich im Job funktionieren und verlässlich sein muss. Schönes wird nur schöner mit der Zeit. So wie man selbst.
Das klingt widersprüchlich: Sie schreiben über eine Industrie, in der es immer um das neueste T-Shirt geht, sind aber selbst dagegen immun?
Zunächst einmal: Ich trage und besitze keine T-Shirts! (lacht) Und ja, es gibt diese neue Generation, die mit Fast Fashion aufgewachsen ist. Aber dazu gehöre ich nicht.
Eine nostalgische Frage zum Schluss: Als Anna Wintour 21 Jahre alt wurde, waren Sie auf ihrer Geburtstagsparty. Bitte erzählen Sie uns davon.
Oh, das ist lange her! Ich arbeitete damals für ihren Vater Charles Wintour, er hatte mich zum London Evening Standard geholt. Danebenbenehmen durfte ich mich also nicht. Anna war sehr schüchtern und mied den ganzen Abend die Tanzfläche – im Gegensatz zu mir. Ich tanze für mein Leben gern!