Ich will die Produkte auf der Strase sehen
Lufthansa Exclusive: Aus der Sportartikelfirma Adidas wurde in den vergangenen Jahren eine der wertvollsten Modemarken. Einer der Spielmacher: Designchef Dirk Schönberger. Im Interview spricht er über Strategie, Eitelkeit und die Grenzen des Retro-Chics // Interview: Ulf Lippitz & Franziska Klün
Grüne Wiese, fränkische Provinz. Der Sportartikelgigant Adidas sitzt in Herzogenaurach, auf einem Campus mit Sportplätzen, zwischen Autobahn und Wanderwegen. Kooperationen mit dem Rapper Kanye West und dem Modeschöpfer Raf Simons haben den Ruf der Marke in der Modewelt gestärkt, der Umsatz stieg 2016 auf das Rekordniveau von 19,3 Milliarden Euro. Was hier gar nicht geht: mit Turnschuhen der Konkurrenz in die Zentrale spazieren. Dann kann man gleich wieder umkehren, selbst wenn man einen Termin mit Creative Director Dirk Schönberger hat. Der 51-jährige lacht herzhaft über die Strenge der Einlasspolitik. „Ich hoffe, Sie waren nicht extra shoppen dafür.“
Herr Schönberger, im Frühjahr wurde bekannt, dass der meistverkaufte Turnschuh in den USA 2016 zum ersten Mal seit zehn Jahren kein Nike-, sondern ein Adidas-Modell war: der Superstar, entworfen 1969. Wie erklären Sie sich den Erfolg – fast 50 Jahre später?
Der Schuh ist zeitlos. Er hat eine klare Designsprache, ist an keine Ära gebunden. Fast minimalistisch, vorne diese Zehenkappe. Die verbindet jeder mit unserer Fir- ma. Wir spielen mit der Erinnerung. Wenn ich die drei Streifen sehe, denke ich auch an meine Jugend. Wie ich als Leichtath- let in Leverkusen Adidas-Spikes getragen habe. Und wie ich mir den halbhohen Basketballschuh Top Ten gewünscht habe.
Aus Ihren Jugendträumen wurden Arbeitsverhältnisse. Seit sieben Jahren sind Sie Creative Director bei Adidas. Dürften Sie den Kultschuh Superstar vom Markt nehmen?
Eine solche Entscheidungsgewalt hat in die- ser Firma keine Einzelperson. Es gibt die Designabteilung, die Geschäftsführung, das Sales-Team. In einem derartigen Fall denken wir gemeinsam über die Konsequenzen nach: Wie würde sich das auf das Geschäft auswirken?
Was liegt in Ihrer Entscheidungsgewalt?
Ich bin mit meinen Kollegen aus den verschiedenen Kategorien für den Designauftritt der gesamten Marke verantwortlich, also das Sport- und Lifestyle-Segment.
Für die blauen und die schwarzen Adidas-Läden…
Genau. Wir geben die Impulse: Farbpalette, Materialien, Grafiken. Wir untersuchen Trends, gehen zu den Kids und sind in ständigem Austausch mit ihnen als Konsumenten. Wir wollen wissen: Was interessiert einen Teenager im Jahre 2017?
Wir gucken Sie an – Pullover, Hose, Schuhe – und wissen: Schwarz bleibt offenbar angesagt.
Und Weiß! Die Herzfarben des Unternehmens. Trotzdem sind Lifestyle-Töne in die Sportwelt eingedrungen. Nachdem in den vergangenen 20 Jahren der Sport die Mode beeinflusst hat, dreht sich das gerade um. Wenn ich allein an die Silhouetten denke! Aber schauen Sie nicht mich an – ich gehöre nicht zur Zielgruppe.
Wie haben sich die Silhouetten verändert?
Früher wollte man im Sport so wenig Stoff wie möglich. Je mehr Material, umso größer der Widerstand. Das hat sich durch den Oversize-Trend völlig gewandelt. Über- große Shirts tauchen überall auf. Andererseits sehen wir ein verändertes Verhältnis zum Sport. Ging man früher nur ins Fitnessstudio in Sportkleidung, wirft man sich heute eine Jacke über die Laufkleidung oder geht in Trainingshose zum Lunch.
Sie sind seit 2010 im Unternehmen, in dieser Zeit wuchs Adidas zu einer der wertvollsten Marken weltweit. Im ersten Quartal 2017 wurde ein Umsatzwachstum von 19 Pro- zent erzielt. Dennoch kennen nur wenige Ihren Namen. Stehen Sie lieber im Hintergrund?
Das musste ich erst lernen. Ich hatte zunächst mein eigenes Label, war dann Creative Director bei Joop! und war es gewohnt, im Fokus zu stehen. Bei Adidas kann ich als Einzelperson versuchen, mich in den Vordergrund zu spie- len, die Firma funktioniert jedoch als Kollektiv. Wir machen
pro Saison Zehntausende Artikel, das klappt nur mit Teamwork.
Karl Lagerfeld hätte sich bestimmt keiner Marke untergeordnet …
Schon als ich 2007 bei Joop! angefangen habe, fragten mich Freunde: Was willst du da? Ich fand die Marke interessant, weil sie eine Geschichte besaß, die man wiederbeleben konnte. Als ich drei Jahre später zu Adidas ging, hieß es: Warum gehst du denn zu einer Sportfirma? Obwohl es das Gleiche war. Eine erfolgreiche Marke mit einer langen Geschichte. Und ich wollte sie aus der Vergangenheitsschleife herausführen.
Sie haben sich gegen den Elfenbeinturm des Modeschöpfers entschieden, für die Industrieproduktion. Warum?
Mit meiner Kollektion entwarf ich Mode für tolle Fashion-Shootings in Magazinen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe Mode. Punkt. Aber ich wollte die Produkte, an denen ich gearbeitet habe, auf der Straße sehen. Diese Relevanz gibt einem ein ganz anderes Gefühl.
Vermissen Sie gar nicht den erlösenden Moment nach einer Modenschau?
Ich weiß nicht, ob ich den Applaus nach einer Schau brauche. Bei aller Liebe zum Kollektiv fehlt mir höchs- tens, dass ich mein Innerstes nicht mehr komplett nach außen trage. Ich meine nicht meinen Namen auf dem Label, sondern den kreativen Ausdruck einer eigenen Kollektion. Wir haben 500 Designer bei Adidas. In meiner Position kreiere ich kaum noch selbst.
Ein Bestandteil des Erfolgs sind die Kooperationen mit Stars, die Adidas in den vergangenen Jahren lanciert hat. Ihr Vorgänger Michael Michalsky hatte sie angeschoben, Sie haben das stark erweitert …
Ich fand die ersten Resultate interessant, doch sie bezogen sich stark auf existierende Modelle. Für mich bestand die Herausforderung darin, jemanden an die Marke heranzuführen, der bestimmte Aspekte an ihr liebt, der aber trotzdem einen radikalen Schnitt bedeutet.
Sie haben auch Rick Owens engagiert, den „Paten des brutalen Chic“. War das riskant?
Im Designteam kam die Frage auf: Ist es richtig, dass Rick Owens einen Schuh macht, der eine geteilte Sohle hat? Der sah aus wie ein Kamelhuf. Ich fand gut, dass er kein Sneaker im klassischen Sinn war, aber natürlich können wir keinen Laufschuh machen, der so konstruiert ist. Intern wurden diese Kooperationen bei manchen zunächst mit Unbehagen gesehen.
Wie war das Feedback? „Der Schönberger holt die Spinner ins Haus“?
Ich sehe die nicht als Spinner, das sind herausragende kreative Köpfe, die unsere Konventionen infrage stellen. Nur Namen auf ein Teil zu pappen, das reicht nicht für eine Marke.
Der belgische Designer Raf Simons knöpfte sich ausgerechnet die bekannt biedere Adilette vor und malte sie knallbunt an!
Wir Deutschen denken daran, wie wir mit den Latschen aus der Dusche kamen, und sehen gar nicht das iko- nische Branding mit den drei Streifen. Wenn die richtigen Leute ein Feuer legen, wird das eben zu einem Flächenbrand.
Momentan sind sie mit dem Ultra Boost erfolgreich, der sich wie eine Socke um den Fuß schmiegt. Mit dem adidas x Parley wurde ein zu großen Teilen aus recyceltem Plastikmüll hergestellter Sneaker vorgestellt. Sie haben mit dem Futurecraft 4D einen serienreifen Turnschuh aus dem 3-D-Drucker im Sortiment. Kommen alle Neuerungen aus der Technik?
Natürlich. Die Frage, wie wir mit Ressourcen umgehen, wie wir ohne Abfall produzieren, wie wir getragene Schuhe weiterverwerten – damit beschäftigen wir uns. Mithilfe von neuen Recycling-Technologien, neuen Materialien, 3-D- Druckern wird vieles möglich. Mit technischen Innovationen kann man natürlich auch sehr hässliche Dinge anstellen. Also lautet die Antwort eher: Design sollte intelligent genug sein, No-Waste-Schuhe zu produzieren. Früher haben wir Stoffe und Leder ausgestanzt, der Rest wurde weggeschmissen. Jetzt werden einige Modelle sogar gestrickt.
Beim Futurecraft 4D haben Sie die Kunden schon früh in die Entwicklung eingebunden – funktioniert so das Marketingkonzept der Zukunft?
Wir reden viel mehr mit den Konsumenten als früher, die Kommunikation hat sich komplett gewandelt. Die Leute wollen wissen, wie Dinge gemacht werden, und wir wollen ihnen diese Transparenz auch bieten, sie auf die Reise mitnehmen. So eine Entwicklung kostet viel Energie und Zeit und Geld – der Schuh darf ja nicht zerbröseln, wenn man zehn Kilometer am Stück damit läuft. Die fragile Struktur muss ewig halten.
Die Fans, die Sneakerheads, sind für das Markenimage enorm wichtig. Die finden so eine Megapräsenz wie beim aggressiv vermarkteten Modell Stan Smith nicht cool. Kann man es auch übertreiben?
Wir haben danach den NMD vorgestellt, mit Stretch-Stoffen und einer stark gedämpften Sohle. Er wurde zum It-Schuh und hat die Aufmerksamkeit von anderen Modellen genommen. Das war neu: Wir lancieren enorme Stückzahlen, und dennoch entsteht ein Hype. Die Leute übernachteten vor den Läden, um den Schuh zu bekommen.
Denken Sie da nicht manchmal, die sind ja jetzt alle irre?
Darf ich gar nicht! Was ich denken darf: Ich könnte das nicht. Aber wenn ich heute ein Kid wäre, würde ich es ähnlich machen. Ich habe viele Eltern in meinem Freundeskreis, die mich um Hilfe bitten: Ich brauche diesen einen Schuh in dieser besonderen Farbe, mein Kind macht mich sonst wahnsinnig.
Als Sie jung waren, rebellierte die Subkultur gegen den Mainstream. Heute zelebriert man grenzenlosen Konsum. Was ist da passiert?
Als ich jung war, gab es weniger Möglichkei- ten. Man musste recherchieren: Wo bekomme ich was her? Wir guckten nach England, schauten in Magazinen wie The Face nach. Heute kann ich online alles bekommen.
Nimmt das der Mode die Aura des Besonderen?
Viele Dinge haben durch Omnipräsenz ihre Magie verloren. Das ist bei Modenschauen nicht anders, die jetzt live im Netz gestreamt werden. Früher wartete man Mona- te, bis man das Buch mit allen Fotos kaufen konnte.
Limitierte Editionen sollen den verlorenen Zauber zurückbringen?
Natürlich. Und sie geben uns die Möglichkeiten, andere Materialien zu benutzen oder hochpreisiger zu werden. In einer sehr demokratischen Welt schaffen wir damit Statussymbole.
…mit denen man kaum noch irgendwo falsch angezogen ist.
Das wundert mich auch immer wieder! Es gibt kaum Menschen, die keine Sneaker tragen. Höchstens die Firmenberater, die morgens mit mir im Flieger sitzen.
Was sagt dieser Wandel nun über unsere Gesellschaft aus?
Es gibt eine gewisse Verweigerung, eine Position einzunehmen. Man lehnt sich zurück, nimmt alles hin, findet alles easy und gut. Doch das führt gerade zu einer Gegenbewegung. Nachdem es lange um Selfie-Kultur ging, gehen plötzlich die Kids auf die Straße. Weil sie nicht mehr hinnehmen wollen, dass Europa mit Füßen getreten wird, dass in Amerika eine komplett andere Gesellschaft geschaffen werden soll.