Franziska Klün

Die Wandelbare

Oktober 2009 | zitty: An Interviewtagen fragt sich Jessica Schwarz, warum sie eigentlich nicht an einer Supermarktkasse steht. Ein Gespräch

Frau Schwarz, im Film „Die Tür“ spielen Sie eine Frau, die langsam an Ihrer Umwelt zweifelt. Passiert es Ihnen, dass Sie manchmal an den Rollen zweifeln, die Sie spielen?

Nein, nur an bestimmten Szenen oder Sätzen. Wenn sich beispielsweise der Drehort plötzlich ändert, kann es passieren, dass ich wütend werde oder weinen muss. Oder es kommt kein Spielfluss auf – dann verzweifle ich. Das führt zu Diskussionen, und manchmal drehe ich dann durch.

Sie fangen an zu schreien?
Mit der Verunsicherung wächst eine Wut, die sich vor allem gegen mich richtet. Da kann ich auch lauter werden. Ich sage den Leuten, was ich denke, ich mache es nicht hinten herum.

Fragen Sie sich in solchen Momenten, warum sie eigentlich nicht hinter einer Supermarktkasse stehen?
Nein, das frage ich mich eher an Interviewtagen.

Wann merken Sie, dass eine Rolle zu Ihnen passt?

Da habe ich eine intuitive Formel: Wenn ich lache, weine und laut mitspreche, während ich das Drehbuch lese, weiß ich, die Rolle packt mich.

Merken Sie beim Spielen, ob Sie gut sind – kriegen Sie ein inneres Glühen oder feuchte Hände?
Manchmal drehe ich eine Szene und realisiere erst, wenn ich fertig bin, dass ich gerade gespielt habe. Dann waren alle so stark in den Dialog verwoben, sind in der Szene aufgegangen, niemand hat unterbrochen, es gab keine Irritation, und alles stimmte. Das kommt schon vor.

Sind solche Szenen die Regel oder die Ausnahme?

Die Ausnahme.

Ben Affleck sagte einmal über das Schauspielern: „Mein Beruf ist Warten im Wohnwagen.“
Ich glaube, das ist bei den Amerikanern drastischer. Die ziehen sich dorthin zurück. Ich habe selten einen Wohnwagen. Beim letzten Film habe ich ihn abbestellt. Niemand braucht eine horrende Miete zu zahlen, wenn ich nie darin sitze. Ich bin umtriebig, ein Set-Mensch, und unterhalte mich mit den Menschen oder schaue mir den Dreh an.

Sie stricken dann?

Nein, auch das nicht. Zum Set kann ich nichts mitnehmen. Ich habe es mal probiert, Bücher zu lesen – aber das klappte nicht. Dafür war ich zu unruhig. Ich finde immer jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann.

Wir haben gehört, Sie können beim ersten Take sofort weinen. Verraten Sie uns Ihre Tricks?
Ich wünschte, ich hätte welche. Natürlich weiß ich bereits morgens, welche Szenen gedreht werden. Dementsprechend gehe ich mit einer gewissen Stimmung ans Set. Und dann will ich von niemandem angesprochen werden. Da ist keine Zeit für Späßchen, sondern dann bin ich in der Maske und bin froh, dass ich mit der Maskenbildnerin befreundet bin. Die kennt mich gut und weiß, dass ich meine Ruhe und meine Musik brauche.

Ihr Trick ist die Musik?
Ich arbeite viel mit Musik, ja. Meistens habe ich für einen Film ein besonderes Lied. Es muss zum Thema passen. Bei „Lulu“ war das von Noir Desir, „Le vent nous portera“. Beim Fernsehfilm „Romy“ war es Madredeus. Da lasse ich meinen Gedanken freien Lauf. Vor einer traurigen Szene sperre ich mich weg und zwinge mich, an traurige Dinge zu denken.

Sie reißen die 14 Narben aus Ihrer wilden Kindheit auf, von denen man überall liest?
In den Zeitungen wird immer alles so dramatisch beschrieben. Das ist totaler Schwachsinn. Gerade habe ich gelesen, dass ich während der Dreharbeiten zu „Romy“ gelitten hätte. Das Wort wurde mir in den Mund gelegt. Das habe ich nie verwendet! Ich frage mich, wo das herkommt, dann ärgere ich mich und kriege Herpes.

Romy Schneider hatte banale Ängste – zum Beispiel, dass sie ihren Text vergisst. Quälen Sie manchmal die gleichen Gedanken?
Kürzlich gab es so eine Situation, als wir den Fernsehfilm „Lautlose Schreie“ drehten. Ich saß im Wohnwagen, hatte mich gerade eingeweint, und plötzlich sollte ich der Presse Interviews geben. Dann passierte genau das, was ich unglaublich hasse: Ich kam nicht mehr in meine Rolle hinein, wurde wütend, zynisch und konnte nicht mehr weinen. Es gibt Tage, da würde ich am liebsten nicht aufstehen, weil ich mich davor fürchte, dass ich die Erwartungen nicht erfülle.

Unterziehen Sie sich einer Therapie, um mit solchen Problemen fertig zu werden?
Ich bin zur Bodenständigkeit erzogen und kämpfe allein gegen meine Ängste an. Manchmal denke ich, ich könnte einen Therapeuten brauchen. Aber ich habe ja nicht einmal die Zeit, mir einen zu suchen.

Würden Sie eine Therapie als ein Eingeständnis von Schwäche empfinden?
Nein, ich finde das nicht schlimm. Wir haben Anfang des Jahres in Argentinien gedreht, da geht jeder zum Psychiater. Montags begann die Arbeit erst um 12 Uhr, weil die Produzentin vorher einen Termin bei ihrem Therapeuten hatte. Die Argentinier kennen sich besser mit Freud aus als die Deutschen. Für sie ist es normal, eine Art seelischen Mülleimer zu haben. Sie sagen sich: Warum soll man immerzu die Freunde mit dem eigenen Kummer und den eigenen Problemen belasten? Ich habe zum Glück viele Freunde, die sich gerne in Hobbypsychologie üben – insofern regeln wir das untereinander.

Gehen wir mal zurück. Ihr erster großer Film war 2001 „Nichts Bereuen“ mit Daniel Brühl. Gleich in der ersten Szene mussten Sie den Slip ausziehen.

Oh ja, das stimmt. Den Slip habe ich aufgehoben.
Hängt er eingerahmt an der Wand? Nein, den ziehe ich manchmal sogar noch an. Vielleicht hat er ein gutes Karma.

Haben Sie damals überlegt, ob diese Szene der richtige Eintritt in die Kinowelt ist?

Das war mir total wurst. Ich hatte zu dem Zeitpunkt kaum Kinoerfahrung. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas in die Rolle mit einbringen kann.

Haben Sie kurz an Ihre Eltern gedacht, als Sie den Slip auszogen?
Bei einigen Szenen denke ich das heute noch. Als ich „Kammerflimmern“ im Kino angeschaut habe, saß mein Vater neben mir – und ich habe ihm die Augen zugehalten. Er meinte nur, er kenne doch alles. Natürlich sind Nackt- oder Sexszenen manchmal unangenehm. Da hat mir allerdings das Modeln geholfen. Dadurch war ich von Anfang an gewöhnt, mich vor anderen an- und auszuziehen – und auch von anderen an- und ausgezogen zu werden.

Was war schlimmer, die erste Moderation bei Viva oder den Slip auszuziehen?
Ich weiß nicht. Bei Viva drehte ich am ersten Tag mit Mola Adebisi im Studio, es waren die Backstreet Boys zu Gast. Ich saß nur verlegen und überfordert auf der Couch – und habe nichts gesagt. Ich wusste beide Male, dass hier gerade etwas ganz großes Neues passiert. Meine Devise war: Augen zu und durch.

Konnten Sie von der Zeit bei Viva für Ihre Karriere etwas mitnehmen?
Klar, sehr viel sogar. Teamarbeit, Kameragewöhnung, auf Menschen zuzugehen, wenige Vorurteile zu haben, mich für Biografien und für Menschen zu interessieren. Für meine Rollen muss ich mich schließlich in Lebensläufe hineinarbeiten, mich mit ihnen auseinandersetzen. Außerdem wurde ich bei Viva jeden Tag aufs Neue ins kalte Wasser geschmissen. Neue Drehorte, neue Leute. Dann kam die Online-Moderation für „Wetten Dass?“ hinzu.

Was war das angenehmste Interview, an das Sie sich erinnern?
Dustin Hoffman und Lionel Richie waren toll, weil die so natürlich waren – ohne Stargehabe. Als ich Dustin Hoffman interviewte, war meine hochschwangere Schwester dabei. Er riet ihr, das Baby nach ihm zu benennen. Das fand ich sympathisch.

Und das schlimmste Gespräch?
Lenny Kravitz war überhaupt nicht motiviert. Er hat auf jede Frage patzig reagiert. Irgendwann habe ich das Interview abgebrochen.

Sie, Oliver Pocher, Stefan Raab, Sarah Kuttner, Christian Ulmen und Heike Makatsch haben alle im Musikfernsehen angefangen. Haben Sie etwas gemeinsam?
Wir waren damals sehr frei. Jeder Praktikant konnte irgendwann Redakteur werden. Jeder hatte eine Verantwortung, die man ihm zuteilte. Nach dem Motto: Hier ist deine Plattform, mach was daraus. Es war wie ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Wir haben immer gesagt: „Wir gehen nach Viva“. So als würden wir einen anderen Planeten betreten. Heute gibt es dort viel weniger Formate für Moderatoren.

Haben Sie nach den Moderatorenjobs mal überlegt, das Abitur nachzumachen?
Ich habe doch einen Realschulabschluss. Erst auf dem Wirtschaftsgymnasium habe ich die Schule in der 12. Klasse abgebrochen. Ich wusste nicht, was ich mit dem Abitur anfangen sollte. Studieren wollte ich nicht. Mir fiel es bereits zur Schulzeit schwer, das zu lernen, was die Lehrer mir vorgaben.

Muss man als Schauspieler nicht auch lernen, was einem vorgegeben wird?
Ja, das stimmt. Aber ich entdecke auch, dass man gewisse Formen des Mitspracherechts hat. Mir kann keiner das Buch unter die Nase reiben und sagen: Das drehst Du jetzt! Vielleicht wäre ich in einer Montessori-Schule besser aufgehoben gewesen.

Auf einer Fan-Seite haben wir gelesen, Sie haben eine dreckige Lache, eine ziemlich große Klappe und sind sehr trinkfest. Was ist das schönste Kompliment?
Die dreckige Lache. Das gefällt mir.

Oder hören Sie lieber, Sie sind „so spritzig und unkonventionell wie Bier“? Das stand in der Laudatio, als Sie zur Bierbotschafterin ernannt wurden.
Allein wegen dem Satz musste ich Botschafterin werden. Ist doch klar.

Können Sie noch so viel trinken wie früher?
Was für eine Frage! Ja! Oder? Nein, man wird älter. Ich mache jetzt mehr Sport.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie verletzlicher sind?

Das kommt mit Erfahrungen. Ein tiefer Schlag war das falsche Interview anlässlich des Films „Die Buddenbrooks“, das in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr erschien.

Darin sollen Sie den Film schlecht geredet haben – es hatte aber gar kein Interview gegeben, ein Journalist hatte Sie belauscht.
Es hat viel von meinem Glauben genommen, dass man von Menschen dasselbe erwarten kann, wenn man ihnen positiv gegenüber steht. Dass man einen Film von der Größe ruinieren kann – und mir das dann vorwirft. Es hat auch Kreise in meiner Familie gezogen, weil das ganze Fest beeinträchtigt wurde. Das hat mich tief verletzt. Ich möchte nicht vorsichtiger sein, aber ich muss.

22.10.2009 | zitty
Interview: Ulf Lippitz und Franziska Klün