Franziska Klün

Fernseher-mit-Seele

YSSO: Ikone der deutschen Unterhaltungselektronik, Vermittler der weltweit gefragten Germanness: Im Sommer 2013 stand der Fernsehhersteller Loewe vor dem Aus. Die asiatische Konkurrenz machte dem Traditionsunternehmen schwer zu schaffen. Dann trat Mark Hüsges auf den Radar.

In Oberfranken im Norden Bayerns, in dem etwas verschlafenen 16.000-Einwohner-Städtchen Kronach sitzt Loewe. Ikone der deutschen Unterhaltungselektronik. 1923 als Radiofrequenz GmbH von den Brüdern David L. und Siegmund Loewe gegründet, erfand das Unternehmen Anfang der 1930er-Jahre das elektronische Fernsehen und revolutionierte damit die Unterhaltungsbranche. Im Laufe der Jahrzehnte blieb das Unternehmen der Pionier: Es entwickelte den ersten tragbaren Fernseher, den ersten europäischen Videorekorder, auch der erste europäische Fernseher mit Stereo-Sound kam aus Kronach. Und das TV-Gerät Loewe Art 1 schaffte es Mitte der 1980er-Jahre sogar ins Museum of Modern Art nach New York.

Doch auch in Kronach kam man gegen den Siegeszug der asiatischen Produktionsländer nicht an, nicht gegen Niedriglöhne und immer mächtiger werdende Marken wie Samsung und Co. Die Nuller-Jahre waren schwierig, die Manager wechselten in immer kürzer werdenden Abständen. 2012 brachen die Umsätze dramatisch ein. Im Sommer 2013 musste Loewe, einer der letzten Fernsehproduzenten in Europa, Insolvenz anmelden.

Und dann kam Mark Hüsges.

Der in München lebende 45-jährige, ehemalige Investmentbanker rettete den Fernsehgiganten von einst vor dem Aus. Gemeinsam mit seinem Partner, dem Private Equity Manager Boris Levin und ihrem Unternehmen Stargate kaufen sie Loewe – für 10 Millionen Euro. Und jeder fragte sich: Was wollen die mit einem TV-Hersteller, der nicht konkurrenzfähig ist?

Herr Hüsges, vor drei Jahren haben Sie den Fernsehhersteller Loewe aus der Insolvenz heraus gekauft. Wie viele Ihrer Freunde haben gesagt, Sie sind irre?

Tatsächlich niemand. Alle meinten: Wow, Mark, wie mutig! Gemeint war allerdings irre.

Sie haben es trotzdem getan und einen einstigen deutschen Unterhaltungselektronik-Giganten übernommen an den niemand mehr richtig glaubte. Woher der Mut?

1999 habe ich die Firma an die Börse gebracht, damals noch als Investmentbanker. Für mich ist das Unternehmen Hersteller von Designikonen. Die Industrie verändert sich, geht weg von den klassischen Gütern der braunen Ware, wie wir die Unterhaltungselektronik früher nannten, in Richtung Mobile und Smart Home Devices. Loewe ist in der Branche eine der wenigen Marken mit Herz und Seele. Da gibt es nichts Vergleichbares. Sony war in meiner Kindheit noch cool – aber heute? Loewe hat diese Seele – und für die habe ich etwas übrig.

Das Traditionsunternehmen befand sich wirtschaftlich über Jahre im freien Fall. Es war sicherlich nicht allein die Seele, die Sie an das Unternehmen hat glauben lassen.

Das hier ist eine hart umkämpfte Industrie. Sie ist dominiert von wenigen Multinationals, die über andere Ressourcen verfügen als wir. Es gibt auch die kleinen Spieler, die in bestimmten Bereichen etwas Begehrlicheres herstellen als die Großen. Wer ein Lederprodukt herstellt, kann klein sein, aber weil er diese eine handwerkliche Fähigkeit besitzt, wird er verkaufen. Das geht bei einer Fernsehmarke nicht. Entscheidend ist das technische Wissen, sind Partnerschaften auf Augenhöhe mit Display-Herstellern, Content-Providern, Chip-Herstellern. Für die brauchst Du Kompetenz und Relevanz, auch Volumen, sonst will keiner mit Dir spielen. Wir arbeiten mit einem exzellenten Chip, wir bieten viel in den Bereichen Software, wir haben all das TV-spezifische Knowhow, Design Knowhow, wir wissen, wie wir Menschen für ein Produkt begeistern können. Vieles Andere müssen wir neu aufbauen.

Klingt nach einem langen Weg.

Als ich einstieg, musste ich tatsächlich Angst haben. Die Produkte waren schön, aber technisch hatten sie Probleme – sie waren zu langsam, hatten zu lange Boot- und Umschaltzeiten, Software-Schwierigkeiten. Ich hatte immer Sorge, dass ich gleich einen Fernseher an den Kopf geworfen bekomme, wenn ich mich als neuer Loewe-Eigentümer oute. Mittlerweile ist das anders. Wenn sich jemand einen Fernseher aus unserer Generation kauft, weiß ich, er wird begeistert sein.

Warum?

Weil unsere Fernseher elegant sind, sie wieder das Zeug dazu haben, echte Design-Pieces zu werden, edle Möbelstücke. Und sie sind schnell. Wir haben gerade den ersten Fernseher mit OLED-Technologie gelauncht – das heißt, anders als LCDs kommen unsere Geräte ohne Hintergrundbeleuchtung aus, sie leuchten selbst. Dadurch sind die Farben viel strahlender und mit einer Dicke von wenigen Millimetern filigraner als manches Smartphone. Die Zahlen geben uns recht – wir veröffentlichen keine Umsätze, aber wir wachsen, zweistellig.

Als Creative Director ist der Londoner Designer Bodo Sperlein für die Gestaltung zuständig. Sperlein ist nicht unbedingt bekannt für die Gestaltung elektronischer Geräte, eher für Home Accessoires. Warum ist er der richtige Mann?

Ich möchte ein neues Bild von Loewe transportieren und das soll nicht die fränkische Provinz darstellen. In der Provinz finde ich Qualität, treue, passionierte Mitarbeiter. Was ich weniger finde, ist Innovation. Ich kriege kein Berliner oder Londoner Flair in ein Kronacher Entwicklungsbüro. Wir sind stolz auf unsere Wurzeln, gleichzeitig wollen wir ein globales Unternehmen aufbauen. Bodo ist sehr inspirierend – was ich von ihm nicht verlange, ist die TV Software zu verbessern.

Was genau verlangen Sie?

Funktionalität, eine intelligente Gestaltung, die nicht nur Design ist, sondern das haptische Erlebnis mit dem Produkt verbindet.

Viele Mitarbeiter sind seit etlichen Jahren im Unternehmen. Wie skeptisch war man als Sie, der Münchner Investmentbanker, auf den Radar trat?

Ich sehe mich nicht als Münchner Investmentbanker, das ist lange her.

Als was sehen Sie sich dann?

Unser beider Konzept ist ziemlich einzigartig: Seit 12 Jahren gehen wir in schwierigen Situationen in Firmen rein, um sie operativ besser aufzustellen. Ich stecke sowohl mein eigenes Geld als auch meine eigene Arbeitskraft in die Firmen. Es ist nachhaltig, was wir machen. Das haben die meisten sofort erkannt.

Wohin führt diese Nachhaltigkeit?

Loewe soll wieder Bestandteil eines Hauses werden. Jeder soll beim Kauf eines Fernsehers Loewe in Betracht ziehen. Es soll nichts Elitäres sein, das ich schick fände zu besitzen, mir aber nicht leisten kann. Es gilt der Anspruch, einen Kundenwunsch zu erfüllen und Premium zu sein. Und Premium ist für mich nicht gleich Luxus. Wir haben Produkte, die technisch sehr gut sind, die aber aufgrund ihrer Designsprache, ihrer handwerklichen Finesse teurer sind als unsere Einstiegsgeräte, die man mittlerweile schon für weit unter 1.000 Euro bekommt. Dennoch steckt in allen Geräten dieselbe Technologie. Das ist uns wichtig.

Bevor Sie zu Loewe kamen, hatten die Produkte viele Namen: Art, Connect, Individual, Reference. Heute gibt es nur noch Bild und Klang. Warum die radikale Reduzierung?

Bringt man ein neues Produkt in den Markt, kostet es genau so viel Zeit, den richtigen Namen zu finden wie das Produkt zu durchdenken – kein effizienter Prozess. Es gibt nicht viele Namen, die unsere Markenwerte intelligent transportieren, die in der Hierarchie verständlich sind. Art, Connect, Individual. Jetzt mal ehrlich: Was kann ein Kunde damit anfangen? Unsere Namen sind derzeit klar reduziert auf Bild und Klang, auf TV und Audio. Gleichzeitig vermitteln sie diese Germanness, die international gut ankommt. Es geht nicht darum, dass da Made in Germany drauf steht, sondern darum, dass ein Produkt aus deutscher Entwicklung das Versprechen dahinter einlöst. Da klingt „Bild 3“ besser als „Connect – made in Germany“.

… weil?

Wenn ich mich erstmals mit einer Firma und deren Produktwelt beschäftige, möchte ich schnelle Orientierung. Wir sind nicht so weit wie Apple, wo jeder weiß, was ein iPhone und was ein MacBook ist. Aber Bild 3 und Bild 5 miteinander zu vergleichen ist einfacher als Individual und Connect. Jeder versteht, dass Bild 3 ein gutes Produkt ist und Bild 5 ein besseres Produkt.

Fernsehen hat ein Imageproblem. Es gilt mittlerweile als schick gar keinen TV mehr in seiner Wohnung stehen zu haben. Wie geht man bei Loewe damit um?

Es ist mittlerweile auch schick kein Auto mehr zu haben, stattdessen fährt man jetzt Fahrrad. Die meisten, die auf einen Fernseher verzichten, sagen im nächsten Moment, sie schauen sich Netflix auf ihren Macbooks an. Die haben also einen Fernseher, sie haben sich nur für eine andere Variante entschieden. Und wir verkaufen ja im Grunde gar keine Fernseher, sondern Geräte auf denen man Bewegtbildinhalte toll wiedergeben kann. Wer kann ernsthaft behaupten, es sei schöner auf einem Laptop einen Film anzuschauen als auf einem Bild 9? Ich mache mir um das Image des Fernsehers keine Sorgen. Vielleicht sehen die Geräte in Zukunft anders aus, werden anders betrieben, vielleicht gibt es andere Eigentümermodelle für Fernseher, vielleicht kaufe ich mir keinen mehr, sondern miete, weil ich alle paar Jahre etwas Neues besitzen möchte.

Wer sieht heute viel fern, wer weniger?

Wir haben immer mehr Single-Haushalte. Da gibt es die, bei denen ein gigantischer Fernseher zu Hause steht mit dem man angeben kann. Die anderen haben ein unauffälliges Gerät, weil sie lieber durch die Kneipen ziehen als allein vorm Fernseher zu hocken. Es gibt wenige Familien, die fernsehfrei sind. Nur die, die stark im alternativen Milieu verhaftet sind und den Fernseher verteufeln. Es gibt die jüngeren Leute, die sind nach wie vor süchtig. Jede mir nachfolgende Generation hat eine höhere Medienaffinität als ich. Es gibt keine Bewegung weg vom Medienkonsum. Es ist nur die Frage, welche Plattform wird genutzt? Die kleinen Kinder, die sich im elterlichen Umfeld bewegen, schauen natürlich Fernsehen. Die Teenager, die sich abnabeln, finden es spannender allein auf einem kleinen Device irgendeinen Inhalt zu konsumieren, Hauptsache, nicht im Wohnzimmer, gemeinsam mit den Eltern. Dann gibt es da noch die nächste Generation, die vielleicht studiert und nicht unbedingt am Fernsehen interessiert ist. Aber die sogenannten Nester, die sich mit dem Partner und eventuell bereits mit Kindern einrichten, die schauen Fernsehen. Die wollen vielleicht auch gar nicht nur einen Fernseher, sondern mehrere und in unterschiedlichen Größen. Sie wollen sie vernetzen, miteinander und mit mobilen Geräten. In Zukunft wird es in jedem Haushalt ein Eingabegerät geben, ein Bild- und Tonwiedergabegerät und darüber hinaus eine Vielzahl an Sensorik und Steuerung.

Kennen wir in zehn Jahren noch das Wort „zappen“?

Glaube ich nicht. Das Thema lineares Fernsehen wird sich weiter verändern. Was es immer geben wird, ist vorgegebener Content, den ich in der Lean Back Experience konsumiere.

In der bitte was?

Manchmal möchte ich um 20 Uhr einfach nur noch auf die Couch und keine halbe Stunde mehr damit verbringen müssen, das richtige Programm zu finden. Ich will mich zurücklehnen und nicht aktiv suchen müssen. Schon heute kann ich jederzeit normales lineares Fernsehprogramm aufnehmen, anhalten und später weiter gucken. Auf dem Tablet, oder die Inhalte sonstwo hin streamen – und die Möglichkeiten werden immer vielfältiger. Weniger Intelligenz im Fernsehen, mehr Intelligenz in zentralen Geräten. Irgendwann wird der Fernseher nur noch Wiedergabegerät sein. Früher hatten wir Hifi Anlagen, die waren so intelligent, dass sie Tonträger abspielen konnten. Heute haben wir nur noch Lautsprecher, die Streaming Angebote abspielen. Das ist die Marschroute, und Loewe marschiert vorne mit.