Franziska Klün

Eine Flasche Wein hilft immer

November 2013 | JNC: Nicolaj Nielsen war ein mieser Schüler, aber ein glänzender Modeverkäufer. Schon immer hatte er den Traum, ein eigenes Unternehmen zu führen. Er sagt: Weiß man, was man kann, wird das Leben plötzlich ganz einfach.

Nicolaj Nielsen ist 38 Jahre. Nachdem er bei Diesel und Miss Sixty gearbeitet hatte, gründete er 2004 die Modemarke Won Hundred. Mittlerweile entwirft er die Männerkollektionen selbst. Sein Designcredo lautet: Verkauft wird, was ihm gefällt.

Herr Nielsen, Sie waren erst 16 Jahre, als Sie von der Schule abgingen, um in der Modebranche zu arbeiten. Insbesondere für Jungs ist eine solche Zielstrebigkeit in dem Alter doch ziemlich ungewöhnlich …
Ehrlich gesagt habe ich schon mit 12 angefangen, in der Mode zu arbeiten. Es gab da einen wahnsinnig angesagten Laden in meiner Heimatstadt, dort habe ich gejobbt. Als ich die Schule verließ, wollte ich auf eine andere Business School wechseln. Aber dann dachte ich: Warum jetzt erneut mehrere Jahre verstreichen lassen, obwohl ich doch weiß, was ich will?

Woher wussten Sie das?
Als ich dieses Geschäft das erste Mal betrat, dachte ich: Das mag ich, das ist cool. Es lag mir einfach, Sachen zu verkaufen. Ich fand es toll, die Kunden abends in einer Bar wiederzutreffen, sie erkannten mich, waren nett zu mir. Das tat meinem Selbstbewusstsein gut.

Später haben Sie einige Jahre für Diesel und Miss Sixty gearbeitet. Was reizte Sie an den Italienern?
Es war Mitte der 90er und Diesel hat damals wirklich tolle Sachen gemacht, allein die Werbungen waren einzigartig! Es war mein absoluter Traum, für das Unternehmen zu arbeiten. Als Diesel mich anrief und fragte, ob ich nach Kopenhagen ziehen möchte, um für sie die Sales zu übernehmen, dachte ich: Yes! Damals trug ja niemand Jeans, alle liefen in Cargo-Hosen herum und Diesel stand vor großen Problemen. Renzo Rosso wollte in jedem Land ein Team aufbauen, von dem einer ausschließlich für Jeans zuständig war. In Dänemark war ich das. Von nun an redete ich nur noch über Waschungen, Qualitäten und Herstellungsverfahren. Das war ziemlich clever.

Warum?
Damals gab es so viele Jeans, die sich einfach nicht verkauften. In jedem Laden lagen 400 bis 500 Paare herum. Also ging ich in all diese Läden, sammelte die alten Paare ein und gab denen unser neues Zeug. Frischfleisch, wie es hieß! Und plötzlich lief’s! Die Hosen verkauften sich. Das war das große Denim-Relaunch! Denke ich heute daran zurück, kommt es mir vor, als hätten wir damals in Dänemark eine einzige gigantische Diesel-Party gefeiert. Ich habe auch wahnsinnig viel gearbeitet. Für mich gab es nie eine 40-Stunden-Woche. Ich wollte hoch hinaus, und 60 Stunden waren da normal.

Waren Sie auch in der Schule so ehrgeizig?
Nein, ich habe die Schule gehasst. Wenn man so schlechte Noten hat wie ich damals, muss man herausfinden, was man machen will. Dafür muss man sich anstrengen. Das hatte ich begriffen. Ich wusste, Mode verkaufen, das mag ich, das kann ich – also muss ich alles geben. Viele meiner Freunde können nicht einmal richtig buchstabieren und trotzdem machen sie alle etwas, in dem sie wirklich gut sind. Das erstmals zu begreifen, dass ich erfolgreich sein kann, obwohl es mir nie gelang, in der Schule zu glänzen, war eine überwältigende Erfahrung.

Befreiend?
Sicherlich. Man ist stolz auf sich selbst, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt – das verändert alles. Man hat mehr Energie, alles wird einfacher, selbst das mit den Mädchen klappt plötzlich, man findet bessere Freunde. Plötzlich flutscht das Leben! Man muss nur herausfinden, was man kann.

Haben Sie immer davon geträumt, Ihr eigener Chef zu sein?
Seit meinem 24. Lebensjahr wusste ich: Bevor ich 30 werde, will ich mein eigenes Unternehmen gründen. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen. Nachdem ich bei Diesel aufhörte, wechselte ich zur Sixty Group. Ich war so müde! Ich hatte genug davon, mit Italienern zusammenzusitzen, die nicht verstehen, was ich ihnen über den dänischen Markt erzählen will. Die Zeit war plötzlich reif, also kündigte ich.

Wann bemerkten Sie erstmals, dass die Modebranche ein ziemlich dreckiges Geschäft sein kann?
2008! Ohne Zweifel. Wenn alles läuft, alle verkaufen, gibt es keine Probleme. Aber sobald sich das ändert, wird es fies und jeder segelt plötzlich in seinem eigenen Boot.

Hat die Krise Sie stark getroffen?
Ich bin kein Profi, was Finanzen anbelangt, ich mache, worauf ich Lust habe. Aber vor 2008 verkaufte doch jeder wie blöd. Man konnte die hässlichsten Teile lancieren, sie gingen trotzdem weg. Alle klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Und dann kam die Krise und schmiss uns alle um. Wenn man seinen Hauptabsatzmarkt in einem Land wie Dänemark hat, mit nur fünf Millionen Einwohnern, dann spürt man solch eine Krise sofort. Geht es einem wichtigen Kunden schlecht, macht sich das auf Anhieb bemerkbar. Bei Won Hundred mussten wir uns von ein paar Leuten trennen. Wir dachten, es dauert ein Jahr und dann sind wir wieder auf dem Damm. Jetzt haben wir 2013 und wir haben immer noch damit zu kämpfen. Die Krise ist nicht vorbei.

Inwiefern?
Einer meiner besten Freunde hat investiert, hätte er das nicht getan, würde es uns heute nicht mehr geben. Vieles läuft heute auf Kommission, alle fordern die günstigsten Preise mit den besten Gewinnmargen. Da ist es wichtig, sich selbst irgendwie treu zu bleiben, nicht nur das zu machen, wonach die anderen schreien. Ich bin seit einem halben Jahr wieder fürs Design zuständig, da hatte ich ja vorher meine Leute für. Auch wenn unsere Kunden 2008 und 2009 zufrieden waren mit unseren Produkten, wir waren es nicht wirklich. Wir wollen keine Sachen verkaufen, die wir okay finden, sondern nur, was wir richtig gut finden. Jetzt sind wir wieder auf dem richtigen Weg.

In Ihrer Markenphilosophie heißt es, als Sie mit Won Hundred begannen, wollten Sie „die Art und Weise herausfordern, wie Mode in Dänemark verstanden wird“. Was bedeutet das?
Blicken wir doch mal zurück, wie die Situation 2004 hier im Norden war: Acne wurde gerade populär, J.Linderberg, Tiger of Sweden. Aber die Mode, vor allem die für die Frauen, hatte nichts mit dem Cleanen, Minimalistischen zu tun, was heute als skandinavisch definiert wird. Alles war voller Pailletten! Da wollte ich gegensteuern und etwas ganz Simples machen. Deshalb hielten wir unsere Kollektion nur in Schwarz und Weiß.

Wie definieren Sie gutes dänisches Design?
Über Qualität und Preis. Darin sind wir Dänen gut. Zum Beispiel die Bestseller-Gruppe, die sind natürlich viel größer als alle anderen, aber sie sind in ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis auch unschlagbar. Oder Norse Projects, Wood Wood, Soulland, die sind alle erschwinglich, dennoch stimmt die Qualität. Ich finde das ziemlich cool.

Will man verstehen, wie die Dänen ticken, auch im Geschäftlichen, sollte man anscheinend zwei Begriffe gut kennen. Der erste ist Janteloven.
Janteloven beschreibt ein skandinavisches Verhaltensmuster, was ich nicht sonderlich mag. Es existiert und beeinflusst uns ständig, auch in der Mode. Ist man sehr ehrgeizig in dem, was man tut, will man beispielsweise das beste T-Shirt der Welt machen, schauen einen die Menschen an und sagen: Coole Sache, Mann! Erreicht man sein Ziel und ist erfolgreich, machen sie einen nieder. Dann heißt es, man würde übertreiben, hätte die Bodenhaftung verloren. Man soll schön auf dem Teppich bleiben, bloß nicht abheben. Das nervt. Ich denke, wir sollten das hinter uns lassen.

Weil es nicht zeitgemäß ist?
Weil ich mich für diejenigen freue, die richtig erfolgreich sind! Man sollte sie beklatschen und sie feiern! Wer etwas erreicht, hat es verdient, dafür auch Anerkennung zu erhalten. Aber hier darf man nicht angeben. Hier versucht man nur, immer besser und besser zu werden, aber kommt nie zum Ziel, weil einem der Erfolg ja nicht gespiegelt wird. Stattdessen rollen die Menschen mit den Augen und denken: Was für ein hochnäsiger Idiot!

Der zweite Begriff: Hygge.
Das ist ein dänisches Wort, das für Gemütlichkeit und Geborgenheit steht und unsere Kultur beschreibt. Das betrifft das Private wie das Geschäftliche. Da wir nur fünf Millionen sind in diesem Land, kennt man sich natürlich in den einzelnen Branchen. Zum Beispiel finde ich es großartig, dass wir so eine kleine Firma sind. Wir sind nur 15 Leute. Ich will, dass jeder meiner Mitarbeiter eine gute Zeit hat, dass wir uns gemeinsam hinsetzen können, ein Bier trinken und alle miteinander reden können. Hier gilt: Schick mir keine Mail, komm rein, lass uns drüber reden.

Sie sagten einmal, mit Won Hundred erfolgreich zu sein, erfordert ein hart arbeitendes Team. Sonst würden Sie all die Dinge zu sehr verwirren, die in der Branche so passieren.
Oh mein Gott – wie alt ist dieses Zitat?

Es stammt aus einem Interview, das im Juli 2011 veröffentlicht wurde.
Das dachte ich mir. Das war noch, bevor ich Vater wurde!

Müssen Sie alles bis dahin Gesagte revidieren?
Die Modebranche ändert sich! Man selbst ändert sich! Besonders wenn man Kinder kriegt. Ich weiß nicht mehr, was ich damit sagen wollte, aber heute kann ich von niemandem erwarten, dass er hier von sieben in der Früh bis abends um neun sitzt.

Weil Sie es selbst nicht mehr tun?
Und weil wir alle älter werden. Einige meiner Mitarbeiter sind seit 2006 im Unternehmen. Die kriegen auch Kinder. Als ich jünger war, habe ich nichts geplant, sondern einfach gemacht. Heute will ich keine Zeit mehr verlieren. Damals habe ich die Hälfte der Tage mit Quatschen verplempert, abends tranken wir noch einen Wein zusammen. Heute planen wir Meetings, die wir pünktlich und zügig durchführen, so schaffen wir das gleiche Arbeitspensum in weniger Zeit.

Es gibt diese Anekdote: Sie waren betrunken und riefen nachts um zwei Ihren Anwalt an, er solle den Namen Won Hundred patentieren.
Das stimmt. Aber es sollte nicht Won Hundred heißen, sondern 100. Damals waren überall Nummern drauf. Auch auf Kleidung. Also dachte ich, das wäre cool: eins null null. Aber mein Anwalt sagte, das sei schon vergeben. Und ich meinte: „Doesn’t matter, we gonna win the shit anyway.“ Als wir dann am folgenden Morgen noch mal telefonierten, im nüchternen Zustand, fiel uns mein Satz wieder ein: Wie war das mit dem Gewinnen? … 100 Prozent gewonnen? … Won 100! Super! Das Logo sah sehr anders aus am Anfang und aus der Zahl wurde ein ausgeschriebenes Wort.

Kubismus, Christiania, Olafur Eliasson: Ihre Kollektionen haben immer ein Thema. Wie entscheiden Sie sich für dieses?
Wir schauen ständig nach neuen Dingen, nach Farbkombinationen, nach Drucken. Dafür reisen wir im ganzen Team nach Paris, gehen in Ausstellungen oder suchen nach interessanten Büchern. Zum Beispiel fiel mir irgendwann ein alter Bauhaus-Bildband in die Hände. Also wird sich die nächste Kollektion ums Bauhaus drehen. Oder die DDR-Architektur, da habe ich auch solch ein Buch entdeckt …

Und dann setzen Sie sich im Team bei einem Kasten Bier zusammen und sprechen über die Ideen?
Eine Flasche Wein hilft immer! Alkohol bringt die Leute einfach zum Reden. Das ist gute Medizin.

Dezember 2013 | JNC