Man braucht ein groses Ego
Lufthansa Exclusive: Der brave Mittelweg ist nichts für ihn – der Designer Rick Owens ist ein Mann der Extreme. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf, heute ist er eine der Kultfiguren im Mode business. Seine Schnitte sind oft weit, die Drapierungen wild, er selbst beschreibt seinen Stil als „Eleganz, gepaart mit Schlampigkeit“. Wir haben den Modeschöpfer, von seinen Fans als „Lord of Darkness“ verehrt, in seinem Haus in Paris getroffen.
Mister Owens, Sie haben viele und ungewöhnlich leidenschaftliche Fans. Ihre Bewunderer pilgern zu Ihren Shows, für sie sind Sie eine Art Gott. Wie anstrengend ist es, Rick Owens zu sein?
Es ist überhaupt nicht anstrengend, ich spiele ja keine Rolle. Mag sein, dass ich für manche ein Gott bin. Und für andere bin ich eine Witzfigur. Einige Designer sind viel präsenter als ich. Sie müssen den ganzen Tag Kollektionen verhandeln, sich erklären, haben einen Vorstand, Direktoren – ich weiß nicht mal, wie so ein System funktioniert.
Schmerzt es, auch mal als Witzfigur wahrgenommen zu werden?
Menschen sind manchmal aggressiv und wollen andere niedermachen. Das Internet ist für mich eine der größten Enttäuschungen überhaupt. Was dort so kommentiert wird – eine Orgie der Feindseligkeit. Schaut man sich an, wie aggressiv Menschen einander im Netz bekämpfen, wundere ich mich, dass es nicht noch viel mehr Kriege auf der Welt gibt. Ausgeglichene, glückliche Menschen tauchen online wohl gar nicht auf, oder die müssen sich nicht auf diese Weise mitteilen. Die Aggressiven sind einfach lauter.
Haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere ein dickes Fell zugelegt?
Ich wurde schon als Kind in der Schule reichlich schikaniert, danach konnte es nur noch besser werden. Von daher überrascht es mich nie, wenn Menschen unfreundlich sind. Außerdem kann ich mir ja aussuchen, wem ich meine Aufmerksamkeit schenke. Ich will denen zuhören, die mich unterstützen und mich respektieren.
Rick Owens
Der 53-jährige Modedesigner wurde in Porterville, Kalifornien, geboren. Auf Rat seiner mexikanischen Mutter studierte er Kunst in Los Angeles. Owens ist trockener Alkoholiker, er legt viel Wert auf gesunde Ernährung und treibt täglich Sport. Mit seiner Frau und Muse Michèle Lamy lebt er seit 2003 in Paris.
Durch Ihre Kollektionen, Ihre Vita, auch Ihr Aussehen haben Sie sich selbst zur Kultfigur stilisiert. Wie extrem muss ein Designer heute in seinem Auftreten sein, um Aufmerksamkeit zu be- kommen?
Ich habe keine Ahnung, wie man heute überhaupt als Designer erfolgreich sein kann! Als ich anfing, habe ich nicht gleich Modenschauen gemacht, sondern Kleidung entworfen, sie in Läden getragen und den Einkäufern gezeigt, jahrelang. Ich hatte nichts zu tun mit Magazinen, Runway-Shows und dem ganzen Mode- system, dem ich stark misstraut habe. Als ich sichtbarer wurde, kamen die Menschen auf mich zu, es entwickelte sich ein Dialog. Heute gibt es so viele Stilrichtungen, dass sich nur noch die wenigsten die Zeit nehmen, um zu ergründen: Wer ist das eigentlich? Was macht der? In den großen Modehäusern haben die Designer gerade mal drei Jahre Zeit. Verkaufen sich die Kollektionen nicht auf Anhieb, werden sie gefeuert. Keiner hört auf dich, wenn du still und bescheiden deinen Job machst. Du musst wild sein. Ein Kollege sagte mal: Brennt man nicht für die Sache, wird es nichts. Man muss genau das machen, was man will, und dafür muss man auch über Leichen gehen können.
Und das tragen Sie uns hier mit ganz sanfter Stimme vor?
Vielleicht klang das jetzt ein wenig zu dramatisch. Aber man braucht ein großes Ego, das vermittelt: Es ist sinnvoll, sich mit mir auseinanderzusetzen.
Wie schaffen Sie es, nach 22 Jahren immer noch zu „brennen“?
Das ist ein Geschenk. Es ist heute fast noch intensiver als zu meinen Anfängen. Ich habe mehr Kontrolle über das, was ich mache. Es ist wie Autofahren. Die ersten Male mit einer Gangschaltung läuft es nicht rund. Als ich anfing, habe ich viele Fehler gemacht, weil ich nicht wusste, wann ich hochschalten sollte. Jetzt bin ich ein guter Fahrer.
Donna Karan, Tommy Hilfiger, Michael Kors – all diese amerikanischen Designer stehen für einen vergleichbaren Casual Chic. Was sie machen, ist tragbar, sehr erfolgreich, aber auch ein bisschen … langweilig?
Das ist einer der Gründe, warum ich 2003 nach Europa gegangen bin. Hätte ich meine Mode weiter in New York gezeigt, wäre ich „der Verrückte“ gewesen, das Phänomen am Rande. In Paris kann ich viel selbstverständlicher meine Kollektionen präsentieren.
Die 80er und 90er Jahre waren jeweils stark von einem Look be- stimmt, dann kam das neue Jahrtausend mit Ketten wie H&M und Zara und zahl- reichen Looks und Trends. Ist der Owens- Look auch eine Gegenreaktion darauf?
Mein Look ist sehr klar, das stimmt. Vielleicht ist er mehr von der Farbe Schwarz geprägt, als ich es ursprünglich vorhatte. Ich bin Fan dieser Ästhetik,aber ich kann sie nicht ständig wiederholen. Niemand kann mir erzählen, dass es schlechter ist, was ich heute mache. Die Menschen reagieren ja darauf, in- dem sie meine Kleidung kaufen. Man kann nicht jedem gefallen.
Macht es Ihnen großen Spaß, reich zu sein?
Absolut. Wem nicht? Ich weiß nur nicht, ob ich je über Geld nachgedacht habe. Es ist lustig: Ich hatte nie Geld, und plötzlich war ich reich. Es gab nichts dazwischen. Wahrscheinlich gebe ich bis heute nicht so viel aus, wie ich eigentlich könnte.
»Man braucht ein großes Ego, das vermittelt: Es ist sinnvoll, sich mit mir auseinanderzusetzen«
Sie sagen, Ihr Talent als Designer mache gerade mal zehn Prozent des Erfolgs Ihrer Marke aus. Ist das nicht eine ziemlich frustrierende Erkenntnis?
Nein, nein. Viele Menschen haben kreative Ideen, aber es ist verdammt hart, sie umzusetzen und unter die Leute zu bringen. Ich will den Erfolg meiner Partner nicht kleiner machen, als er ist. Das Team um einen Designer ist unsichtbar, aber das, was sie beisteuern, ist es nicht. Bei mir ist das genauso. Ich glaube schon, dass ich ganz gut bin, aber es funktioniert nur mit dem Team. Ich mache gern Scherze über meine Partner, aber sie hätten auch einen anderen als mich so fördern können.
Erstaunlich bescheiden…
Aber wahr. Ein Unternehmen ist wie eine Armee. Und ich möchte die nicht organisieren!
Sind Sie denn wenigstens das Schwungrad in diesem Team?
Ich bin nicht der große Motivator, ich habe ein paar andere Talente. Ich kann entwerfen, zuschneiden, drapieren. Meine Partner hören sich die Probleme von jedem an, sind wirklich empathisch. Ich kann das nicht.
Werden Sie auch mal zornig?
Aber ja!
Was passiert dann?
Ach, ich muss natürlich auch mal jemanden anblaffen, doch mir liegt nichts an einer stressigen Atmosphäre, in der sich keiner wohlfühlt. Selbst in der Nacht vor der Show wird bei uns viel gelacht. Ich bin nicht der Typ, der in der letzen Sekunde noch hysterisch Sachen verändert. Die Vorbereitung für die Show ist ja das, was am meisten Spaß macht.
In Ihrem Team gibt es wenig Fluktuation. Hängen Ihre Mitarbeiter so an Ihnen – oder Sie an ihnen?
Vielleicht beides. Ich brauche viel Zeit, bis ich Menschen an mich hera lassen und mich mit ihnen verbinden kann. Ich könnte das als eine Behinderung sehen oder es einfach akzeptieren. Ich bin halt so.
Ihre Kollektionen mit weiten Schnitten und wilden Drapierungen vermitteln keine ausprägte Sexyness. Sie entsexualisieren Menschen, indem Sie Kollektionen entwerfen, die auch unisex sein könnten. Doch auf der anderen Seite schickten Sie zuletzt Männer ohne Unterhosen auf den Laufsteg, so dass man ihre Geschlechtsteile sehen konnte …
Mode hat meist eine sexuelle Konnotation. Mode, die Frauen einschnürte, ihnen dicke Hintern verpasste – wer kam auf solche Ideen? Das sind für mich Zeichen einer sexuellen Unterdrückung. Meine Kleidung ist für Menschen, die sexuell befriedigt sind. Wenn man sich all diese engen Klamotten ansieht, die Körper darin eingepresst – das ist für Leute, die nach Sex suchen, weil sie vielleicht nicht genug davon haben.
Aber mit Kleidung wirbt man auch um Aufmerksamkeit. Man zeigt seine teuer operierten Brüste eben lieber in engen Oberteilen!
Mit Sicherheit geht es auch darum, ja. Es gibt sehr unterschiedliche Arten, sich im Leben zu amüsieren. Doch ich muss nicht alle diese Arten fördern.
»Ein Unternehmen ist wie eine Armee – und ich möchte die nicht organisieren!«
Sie sind jetzt 53 Jahre alt. Haben Sie je darüber nachgedacht, sich mit Botox oder Lifting neu zu schneidern?
Vielleicht mache ich das irgendwann. Ich kann gut nachvollziehen, wie schmerzhaft es sein muss, wenn man gewöhnt ist, durch sein Aussehen viel Aufmerksamkeit zu erhalten, und das dann irgendwann aufhört. Ich würde niemanden je dafür verurteilen, diese Entwicklung kontrollieren zu wollen. Wer bin ich, das zu missbilligen? Ich mache viel Fitness, bin süchtig danach. Wie fühle ich mich, wenn mein Körper sich verändert, wenn meine Brust sich zu senken beginnt? Sieht man sich im Spiegel, nimmt man automatisch die Pose ein, die einem am besten an sich gefällt. Das ist das Selbstbild, mit dem man dann durch die Welt läuft. Ich glaube, das macht man, wenn man älter wird: Man strebt nach der Pose, die man am meisten von sich mag, auch wenn diese mit der Realität nichts mehr zu tun hat.
Für Sie ist Ihr Körper ein wichtigeres Statement als Ihre Mode. Warum diese Körper-Obsession?
Weil ich unzufrieden war. Ich mochte meinen Körper nicht, also musste ich ihn verändern. Das war nichts, was ich mit einer Operation hätte tun können. Also fing ich mit Fitness an – und wurde abhängig. Ich mag die Einstellung, das Beste aus dem herauszuholen, was man hat. Eine tolle Art zu leben.
Erfordert das nicht unglaublich viel Disziplin?
Ich bin diszipliniert, das ist mir sehr wichtig. Ich war spektakulär undiszipliniert in meiner Alkoholsucht. Meine Körperobsession ist eine weitere Form der Sucht, eine Sucht nach Kontrolle.
Sie sagen, Sie mögen es nicht, auf Partys zu gehen. Langweilen die Menschen Sie?
Nein, aber ich bin Einzelkind und war immer Einzelgänger. Ich fühle mich einfach nicht sehr wohl mit anderen. Vielleicht ist es Unsicherheit, vielleicht den- ke ich zu viel darüber nach, wie ich auf andere wirke. Man lernt als Kind, sich zu assimilieren, oder man lernt es eben nicht. Ich habe das nie gelernt, ich habe immer alleine gespielt. Am Ende hat es sich ausgezahlt, denn so war ich in der Lage, selbst Dinge zu entwickeln.
Fühlen Sie sich unwohl, wenn Sie nach der Show auf den Laufsteg treten und dem Publikum zuwinken?
Nein. Ich weiß, dass es gar keinen Grund gibt, unsicher zu sein, ich bin auch nicht schüchtern. Aber ich fühle mich wahnsinnig unwohl, wenn ich vor Leuten sprechen soll. Ich hasse das an mir. Warum bin ich so? Warum nehme ich mich selbst so ernst? Wen interessiert’s? Würde ich vielleicht etwas sagen, was ich nicht sagen will? Keine Ahnung.
Sie reden in Interviews sehr offen über Ihre langjährige Alkoholsucht. Können Sie Tipps geben, wie man eine solche Krankheit überwinden kann?
Ich glaube nicht. Ich bekam es einfach mit der Angst zu tun, nachdem ich mehrmals fast gestorben wäre. Heute haben wir Alkohol bei uns zu Hause, das ist okay. Ansonsten ist es wie mit einer Ex-Freundin: Man weiß, man hatte eine großartige Zeit, aber man kann nie wieder zusammenleben.
Juni 2016 | Lufthansa Exclusive
Interview: Andreas Tölke & Franziska Klün