Soul Brothers
September 2015 | Lufthansa Exclusive: Stil-Ikonen, Selfmade-Designer, Social-Media-Stars: Sam Lambert und Shaka Maidoh machen mehr als nur Herrenmode, sie definieren einen neuen Stil – ein Besuch in London
West-London im Frühling. Sam Lambert und Shaka Maidoh stehen vorm „Honest Jon’s Records“-Shop und begutachten die Ausbeute ihres Shopping-Streifzugs: drei weiße Hemden, einige Soul-LPs. „Not too bad“, resümiert Maidoh, als ein Mann vorbeiläuft, stehen bleibt, kurz überlegt und zurückkommt: „Excuse me, Sirs, ich will nicht stören“, entschuldigt er sich in gewohnt britischer Höflichkeit, „jedes Mal, wenn ich online bin, ob auf Pinterest oder sonstwo, sehe ich Sie. Ihr Stil ist großartig.“
Sam Lambert und Shaka Maidoh sind SocialMedia-Superstars. 143 000 User der Foto-App Instagram verfolgen ihre täglichen Aktivitäten. Wenn in Florenz Modemesse ist und die Stadt zum Laufsteg wird, macht kein Streetstyle-Fotograf Feierabend, bevor er nicht auch Lambert und Maidoh vor die Linse bekommen hat. Vergangenes Jahr kürte sie das Streetwear-Portal Highsnobiety zu den bestgekleideten Männern der Modebranche. Wo auch immer sie zusammen auftauchen, welche Bar, welchen Shop sie betreten, sie fallen auf.
Dabei sind sie zurückhaltende Typen, die leise sprechen und jetzt etwas verlegen wirken. „Thank you, Sir“, bedankt sich Lambert lächelnd. Auch die Mode, die sie machen, ist in ihren Einzelteilen weder bunt noch schrill oder ausgefallen. Das Duo Lambert & Maidoh funktioniert eher wie ein Gesamtkunstwerk.
Der eine ist einen Kopf größer als der andere, beide sind dunkelhäutig, beide bärtig, beide haben diesen leicht gebeugten Schlendergang, als würden sie gerade gedankenversunken über das Leben philosophieren. „Viele denken, wir seien Brüder“, sagt Lambert. Doch vor allem sind sie Freunde, seit 17 Jahren schon. Damals stellten gemeinsame Bekannte sie auf dem Portobello Road Market einander vor. „Wir hatten dieselben Leidenschaften, kleideten uns ähnlich, hörten die gleiche Musik“, sagt Lambert, „alle meinten: Du musst diesen Typen kennenlernen!“
Der ist heute Lamberts Geschäftspartner, und aus ihren gemeinsamen Interessen haben sie Einkommensquellen gemacht. Jeden Freitagabend legen sie in einer Bar in East London auf, doch in erster Linie sind sie Designer. „ACF“ nennt sich ihr Herrenmode-Label, das diverse Deutungen erlaubt: „Art Comes First“ oder „Avec Ces Frères“, manchmal auch „Always Cut First“ – je nach Laune, je nach Projekt, je nach Partner. „Gegenseitige Inspiration ist die Essenz aller Kreativität“, sagt Lambert, „ich gucke dich an, du guckst mich an, ich inspiriere dich, du inspirierst mich – nur so funktioniert’s. Wir wollten mit Leuten zusammenarbeiten, die unsere Unteressen teilen.“ So verwandelten sie ACF sukzessive in ein professionelles Label mit neuen Kollektionen – Saison für Saison.
Diese Kollektionen tragen heute Namen wie „Rockers“ oder „Modern Day Gypsy“, sie lassen erahnen, wofür die Mode des 39-jährigen Lambert und des 38-jährigen Maidoh steht: Tradition, modern interpretiert. Savile Row, die „Goldene Meile“ der englischen Maßschneider, trifft auf Rock ’n’ Roll, Anzugträger auf Punk. In Textilien übersetzt: schwarze Anzüge aus Tweed, kombiniert mit Beaniemütze. Hochgeschlossenes Hemd und Krawatte zu Lederjacke in Biker-Optik. Ein Hut, an dessen Übergang von Krone zu Krempe eine Zigarette steckt, oder – wie Lambert es bevorzugt – ein zusammengerollter Geldschein. Am liebsten in der Währung seiner Heimat Angola, dem Kwanza. „Regeln müssen gebrochen werden, Traditionen erhalten“, fasst Lambert ihre Philosophie zusammen. Und Maidoh ergänzt: „Doch
um Regeln zu brechen, muss man sie erst erlernen.“
Lambert und Maidoh sind Selfmade-Designer. Bevor sie sich der Mode widmeten, arbeitete Lambert als Fotograf, Maidoh als Programmierer. Aus einer frühen Liebe zu Vintage-Kleidung und einer konstanten Geldnot heraus begann Lambert die Secondhand-Schnäppchen umzugestalten, die er auf Londons Flohmärkten entdeckte. Er kürzte, verengte, fügte ungewöhnliche Details hinzu. Die Leute fanden das cool, fragten, ob er so was nicht auch für sie machen könnte. „Meine damalige schwedische Freundin brachte mich auf die Idee, daraus ein Business zu entwickeln“, sagt er. Und sie war der Meinung, London lenke zu sehr ab. Um ein Label aufzuziehen, brauche es Konzentration. Also gingen sie nach Schweden, Lambert brachte sich dort das Schneidern selbst bei. „Shaka kam mich ständig besuchen, er glaubte mehr an mich als ich selbst.“ Maidoh, der damals fest angestellt war, half auch finanziell. „Er war meine Muse, mein Stylist, mein Investor!“, sagt Lambert.
Als nach der Finanzkrise 2008 in Schweden Boutiquen schlossen und Lambert mühsam akquirierte Kunden verlor, sehnte er sich zurück nach London. Ein ganz neues Gefühl für Lambert, der in Angola aufwuchs, mit seiner Familie nach Belgien kam, als er 13 war, in Spanien, Portugal und den USA gelebt hat. Er spricht fünf Sprachen und sagt: „Durch das ständige Umziehen kenne ich das sonst nicht, diese Sehnsucht nach Heimat.“ Heute pendelt er zwischen Paris und London, er hat keine Wohnung, er bevorzugt Hotels. Damals brauchte er London und das Lebensgefühl dort. Er gab sein Label wieder auf, bewarb sich an der Savile Row. Dort wollte er sein Wissen vertiefen, erst beim Maßschneider Ozwald Boateng, später beim Herrenmode-Label Spencer Hart. Wieder stets an seiner Seite: Kumpel Shaka mit seinem Gespür für Farb- und Materialkombinationen.
„Niemand verstand unseren Stil“, sagt Lambert, „an der Savile Row wird Tradition sehr steif interpretiert.“ Sie aber wollten die klassischen Silhouetten aufbrechen, ihnen einen modernen Twist geben. „Was aktuell in der Männermode passiert, ist verdammt spannend. Und das liegt daran, dass Männer nicht länger versuchen müssen, ständig möglichst maskulin auszusehen“, sagt Maidoh. Silhouetten verändern sich, es gibt mehr Auswahl. Doch diese neue Freiheit bedeutet auch, dass Männer lernen müssen, was Frauen schon lange wissen: dass nicht jeder Schnitt und jede Farbe jeder Person gleich gut steht. „Ein Gefühl zu entwickeln dafür, was zu einem passt, ist nicht einfach“, meint Lambert. „Hat man es begriffen, kann man selbst im Pyjama Eleganz ausstrahlen.“
An der Savile Row waren sie die jungen Rebellen. Alle wollten ihnen erklären, wie man es eigentlich macht. „Es war befremdlich und dennoch die beste Schule – wir lernten, Dinge infrage zu stellen.“ Gleichzeitig konnten sie an ihren ersten ACF-Projekten feilen. Sie zogen hierher, nach West-London. Für Maidoh war es die Rückkehr in die Gegend seiner Kindheit. Unweit des Portobello Road Market stand eine Lagerhalle leer, die Einrichtung suchten Lambert und Maidoh sich nachts auf den Straßen zusammen. „Die Händler lassen ständig Sachen stehen“, sagt Maidoh. Seitdem nennen sie das als ruppig verschriene Viertel nur noch „Treasure Island“.
Diese Schatzinsel besuchen sie fast jedes Wochenende. Für sie ist der Markt, der seit dem 19. Jahrhundert an derselben Stelle stattfindet, die beste Vintage-Fundgrube weltweit. Viele der Händler begrüßen sie herzlich, manche haben Sachen für sie zurückgelegt. „Die kennen uns seit Ewigkeiten, die wissen, was uns gefällt“, sagt Maidoh. Heute suchen sie nach Knopfleisten. Sie wollen diese ungewöhnlich und besser gestalten. „Es gab schon viele gute Lösungen in der Mode, man muss sie ausgraben und weiterentwickeln“, sagt Maidoh.
So entstehen ihre extrem detailverliebten Kollektionen, die in Europa gefertigt werden, zum Großteil in Portugal, und für die man sie besonders im modeverrückten Japan verehrt. Dort erwirtschaften sie mit ACF den meisten Umsatz, doch auch in Amerika führen immer mehr Boutiquen ihre Entwürfe. Ihre Zielgruppe ist nicht definiert. Männer aller Altersklassen tragen ihre Mode, für ein Designerlabel ist ACF relativ erschwinglich. Den europäischen Markt erfahren sie als schwieriger, den Einzelhandel als vorsichtiger. Auch wenn in Deutschland bislang kein Store ihre Kollektionen führt, kann man dennoch auch hierzulande Entwürfe von ihnen erwerben.
Seit Herbst 2014 arbeiten sie für die Pariser Modekette „The Kooples“, Sam Lambert als Creative Director, Shaka Maidoh als Berater. Sie finden, das Verständnis von Modernität und Tradition dort ähnele ihrem Ansatz. Außerdem sichert die Zusammenarbeit ihnen die Freiheit, ACF so voranzutreiben, wie sie es für richtig halten. Oberste Prämisse: nichts überstürzen, jedes Geschäft, jeder Partner muss sorgfältig ausgewählt sein. „Hat man finanziellen Druck, geht man schneller Kompromisse ein. Doch lässt man sich aus Not auf Dinge ein, die nicht hundertprozentig zu einem passen, verbrennt man ganz schnell seinen Namen“, sagt Lambert, und Maidoh ergänzt: „Wir wachsen gerne langsam, wir haben keine Eile.“ Alles andere würde auch nicht zu ihrem schönen Schlendergang passen.
Foto: David Goldman
September 2015 | Lufthansa Exclusive