Wow, bist du unverschämt
Juli 2009 | zitty
Sven Marquardt ist Fotograf und Türsteher des Berghain. Ein Gespräch über Vergangenes, Klischees und Exzesse.
Herr Marquardt, sind Sie eigentlich eitel?
Solche Fragen werden hier gestellt? Das ist interessant. Ich glaube ja. Mein persönlicher Stil hat sich natürlich mit der Zeit verändert. Zu meiner Punk-Zeit bin ich nicht ohne Kajal aus dem Haus gegangen, die Haare mussten zum Iro hoch gesprüht sein. Ich folge wohl eher einer unkonventionellen Ästhetik, die manche als gar nicht eitel empfinden.
In seinem Buch „Lost and Sound“ schreibt der Musikjournalist Tobias Rapp: „Die Angst vor dem Türmann lehrt einem den nötigen Respekt, (…). Zumal er mit seinen Gesichtstätowierungen und den zahllosen Piercings auch nach Jahren noch (…) die einschüchternde Autorität des radikalen Lebensentwurfs ausstrahlt. Er heißt Sven Marquardt, und wenn er nicht hier steht, ist er Fotograf. Leute, die ihn kennen, sagen, er sei sehr nett.“ Wie klingt das für Sie?
Dass ich trotz meines besonderen Aussehens in der Lage bin, zu kommunizieren, entspricht wohl nicht dem Klischee. Es ist ein bisschen anstrengend, immer wieder damit konfrontiert zu werden. Neulich sagte ein Berghain- Gast zu mir: „So wie du aussiehst, kannst du eigentlich keine guten Fotos machen.“ Da dachte ich: Wow, bist du unverschämt.
Sie haben einmalgesagt, Ihre Zeit im Osten sei unglaublich schön gewesen. Wünschen Sie sich die Mauer zurück?
Es war schön, es ist auch jetzt schön. Ich habe die DDR nie idealisiert. Es konnte nichts Besseres passieren, als der Fall der Mauer. In der „Spex“ wurde neulich unser kleiner Kreis junger DDR-Fotografen als „die letzte analoge Bohème“ bezeichnet, eine schöne Beschreibung der damaligen Zeit in Prenzlauer Berg.
Was war damals so schön im Osten?
Wir waren ein kreativer Kreis und haben uns frei gefühlt. Die Stasi existierte zwar, aber das hat nicht mein tägliches Leben bestimmt. Wenn man schlau genug war, konnte man sein eigenes Ding machen, ohne sich zu verbiegen.
Ihr eigenes Ding machen – das können Sie doch noch heute.
Natürlich. Als Fotograf vermisse ich heute allerdings das Morbide im Stadtbild. Früher bin ich in alten Häusern, Gasometern, Fabriken spazieren gegangen, auf der Suche nach einer vergangenen Zeit. Heute ist vieles mit bonbonfarbenen Häuserfassaden totsaniert, Gebäude wirken, als hätten sie keine Geschichte, dabei haben sie eine.
Begeben Sie sich noch auf die Suche nach Vergangenem?
Ja, dafür fahre ich in den Osten. Dort finde ich, was ich hier nicht mehr finde: Inspirationsquellen. Neulich war ich in Leipzig und in Frankfurt Oder. Leipzig hat mich an Berlin in den 90ern erinnert. Da herrscht Aufbruchstimmung. Es gibt viel Leerstand, günstige Mieten, eine extrem große Kunstszene. Dadurch hat es ein besonderes Flair. So habe ich Berlin Anfang der 90er empfunden, als das Planet entstand, der Tresor, das E-Werk. Als irgendwie alles möglich schien.
Der Mauerfall ist Ihnen als großer Befreiungsschlag in Erinnerung?
Es war sehr befreiend. Die letzten ein, zwei Jahre haben wir uns nur noch mit der Ausreiseproblematik beschäftigt. Jeder wollte weg, viele waren schon weg, man hat nach Möglichkeiten gesucht, das Land zu verlassen und trotzdem zurückkehren zu können, denn natürlich wollte man auch nicht im Westen hocken, während die Familie auf der anderen Seite ist. Alle aus unserer Prenzlauer- Berg-Szene versuchten, das zu umgehen, indem man irgendjemanden aus Österreich oder Amerika heiratete, einen neuen Namen annahm, damit die DDR-Staatsbürgerschaft behielt und wieder einreisen konnte. Es gab immer jemanden, der Leute vermittelt hat, die zu solchen Deals bereit waren. All das bestimmte irgendwann so den Alltag, dass es uns gelähmt hat. Wir hatten keine Lust mehr auf Projekte, wir wollten nur weg.
Sie sind geblieben…
Ja. Entweder man hatte die Möglichkeit, oder man hatte sie nicht. Deswegen war es toll, als ich von einer Sekunde auf die andere all die Leute wiedersehen konnte, die übrigens größtenteils wieder zurück nach Prenzlauer Berg zogen. Die Szene hat sich trotzdem schlagartig aufgelöst. Freundschaften waren plötzlich zu Ende, jeder musste sich erstmal neu orientieren.
Nach der Öffnung der Grenzen wollten Sie als Fotograf durchstarten. Warum gelang Ihnen das damals nicht?
Auf nationaler Ebene wollte ich etwas erreichen und bin mit einer Mappe voller loser Blätter in die Redaktionen nach Hamburg. Da hat sich allerdings keiner für Sven Marquardt interessiert. Weder beim „Stern“, noch bei irgendwelchen Magazinen, die es heute teilweise gar nicht mehr gibt, wie „Tempo“ oder das Fashion-Magazin „Viva“. Das hat mich damals nicht so sehr deprimiert, doch die Leidenschaft beim Fotografieren war plötzlich weg. Mir waren die Bilder nicht mehr ausdrucksstark genug, ich hatte das Gefühl, damit nichts mehr sagen zu können. Ich musste mich erstmal auf mich selber konzentrieren.
Wann kam das Gefühl wieder?
Ende der 90er, nach fast zehn Jahren. Mit einem meiner Hauptfotomodelle habe ich nach der Schließung des Ostguts 2002 viel Zeit verbracht. Wir sind durch Rummelsburg gestreunt, dort wo heute das Rechenzentrum ist, haben nach Orten gesucht, Bilder gemacht. So hat das wieder angefangen.
Ähneln Ihre früheren Fotografien den heutigen?
Hoffentlich sind sie erwachsener geworden, in jedem Fall tragen sie dieselbe Handschrift. Ich arbeite immer noch ausschließlich analog, mit Tageslicht, die Inszenierungen, die Symboliken, die Themen haben sich alle nur weiter entwickelt.
Sie arbeiten ohne Digitalkamera, warum?
Die Negative zum Labor zu bringen, dann wieder hinzugehen und nicht ganz zu wissen, was einen erwartet, das finde ich spannend und reizvoll.
Sie suchen bizarre, naive und verstörende Motive, die einen durch den direkten Blick der Models in die Bilder hineinziehen. Was wollen Sie bei den Betrachtern erzeugen?
Gegensätze sind mir wichtig. Es gibt Nähe, aber da ist auch etwas, das die Nähe gleich wieder zerstören könnte. Wenn die Fotos berühren, finde ich es gut. Sie inszenieren ausschließlich ungewöhnliche Menschen, Sie sagen, „die Schönheit, die jeden Tag an mir vorbeirauscht, interessiert mich nicht“.
Wer interessiert Sie?
Persönlichkeiten, Menschen mit Charakter. Auf meinen Fotos stehen nicht, wie manchmal angenommen, Piercings und Tätowierungen im Vordergrund. Es sind zwar oft welche zu sehen, aber die Geschichten der Bilder sind andere.
Wären Sie selbst ein geeignetes Fotomotiv?
Ja.
Momentan bewegt sich viel bei Ihnen. Drei Ausstellungsprojekte laufen in den nächsten Wochen an, kürzlich gab es in der Galerie Merry Karnowsky Ihre erste kleine Retrospektive, demnächst gibt es eventuell in Leipzig eine weitere Ausstellung. Warum gerade jetzt?
Ich war fleißig, habe viel fotografiert, mehr konzeptionell gearbeitet. Das große Interesse kam mit der Fassbinder-Hommage, der 13-Monde-Ausstellung im Winter 2007 im Berghain. Diese war auch ein Neubeginn für mich. Das war meine erste Zusammenarbeit mit dem Modedesigner, Illustrator und Berghain-Kollegen Viron Erol Vert. Mit jemand anderem ein Konzept für ein Fotoprojekt zu entwickeln schien mir anfangs beängstigend, ich dachte, ich müsste etwas von meiner Kreativität weggeben. Dass zu zweit Kreativität auch wachsen kann, daran hatte ich gar nicht gedacht.
Durch die Fotografie gelang es Ihnen zu Ostzeiten, der Realität zu entfliehen, sagten Sie einmal. Fängt man als Fotograf die Realität nicht eher ein?
Ich habe mir durch die Inszenierungen eine kleine Welt erschaffen, und die war damals weit weg von der sozialistischen Norm. Ich denke, mir sind damals ein paar Bilder gelungen, die keiner Zeit zuzuordnen sind, darauf bin ich stolz.
Wie haben Sie das geschafft?
Mit Orten, die vergessen waren, Menschen, die von der Gesellschaft keine große Beachtung wollten und auch nicht bekamen, die eine Randgruppe darstellten und stolz darauf waren. Einer aus der Allerleirauh-Modeperformance- Gruppe sagte einmal den überheblichen Satz: „New York ist da, wo wir sind.“ Das ist doch ein Supersatz, wenn man aus dem Osten kommt!
Waren Sie politisch?
Wenn es politisch ist, sich gegen eine bestimmte Lebensform aufzulehnen, dann waren wir politisch. Aber wir sind nicht mit Flugblättern durch die Straßen gelaufen und haben Leute mobilisiert, etwas im Staat zu ändern.
Ihr Aussehen entsprach nicht der sozialistischen Norm. Sie hatten Mitte-Verbot, die Chefredakteurin des Modemagazins „Sibylle“ durfte Sie nicht zu Gesicht bekommen. Wie konnten Sie trotzdem für das Magazin arbeiten?
Ich war viel mit dem Taxi unterwegs, bin nur in die Redaktion gefahren, wenn Karla Wodack, die Chefredakteurin, nicht dort war. Ich habe nicht täglich für Sibylle gearbeitet, die Hausfotografen waren Sibylle Bergemann, meine Lieblingsfotografin, und Ute und
Werner Maler.
Gibt es Rituale, um nach einem Wochenende an der Berghain-Tür wieder in den Tagesrhythmus zurück zu finden?
Ich lebe dann den totalen Gegensatz zum Wochenende, stehe ganz früh auf, fahre raus und suche Stille. Ich brauche das Gegensätzliche in meinem Leben. Ich könnte niemals nur nachts arbeiten oder nur tagsüber. So freue ich mich, nach der Ruhe wieder in die Nacht zu fahren und diesen Job zu machen. Die Nächte inspirieren mich, sie sind wie ein Zeitraffer an Emotionen. Man sieht Leute heulen, glücklich sein, frisch verliebt, getrennt. Tausend Momente, die sich aneinander fügen. Das löst etwas in mir aus.
2002 als das Ostgut schloss, wollten Sie aufhören als Türsteher zu arbeiten und sich auf die Fotografie konzentrieren. Was ist schiefgelaufen?
Ich habe das mal gesagt, ja. Die Ostgut-Zeit war eine sehr exzessive Zeit, auch für mich. Letztendlich habe ich mich aus finanziellen Gründen dafür entschieden, an Berlins Türen zu arbeiten. Ich habe in der Zeit aber auch wieder angefangen zu fotografieren. Die Zeiten der Exzesse sind vorbei? Die Zeiten in denen man mich morgens noch auf der Tanzfläche findet und ich erst nachmittags nach Hause fahre, wird es nicht mehr geben, nein.
Nach der Ostgut-Schließung sagten Sie auch, die Touristen würden anfangen zu nerven.
Heute würde das Berliner Nachtleben und auch das Berghain ohne Touristen nicht funktionieren. Das muss ich revidieren, die nerven nicht, mich inspiriert der internationale Mix eher.
Tut es Ihnen leid, wenn Sie Leuten den Abend versauen, weil Sie sie nach Hause schicken?
Manchmal schon. Gerade, wenn sie ein eher bescheidenes Auftreten haben und von der Einlasssituation sowieso verunsichert sind.
Und warum dürfen die nicht rein?
Manchmal passt es einfach nicht.
Ihren ersten richtigen Türsteherjob hatten Sie im Suicide in der Dircksenstraße. Dieser hat kürzlich auf dem RAW-Gelände wiedereröffnet. Kann man einen Club nach so langer Pause wieder ins Leben rufen?
Alleine die Herangehensweise, denselben Namen zu übernehmen, finde ich schwierig. Es ist nicht mehr derselbe Laden, nicht mehr dasselbe Gebäude. Man kann nicht an eine vergangene Zeit anschließen, man muss etwas Neues machen. Das Berghain empfinde ich auch als etwas ganz anderes als das Ostgut. Es gibt viele Leute, die meckern, dass es nicht mehr wie früher ist. Grauenvoll. Natürlich ist es nicht wie früher. Das war Ende der 90er und jetzt haben wir fast 2010!
Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Hoffentlich als Fotograf arbeitend und gesund.
Werden Sie noch an der Berghain-Tür stehen?
Keine Ahnung. Ich gehöre zu einer neuen Generation. Wahrscheinlich wäre es vor zehn Jahren nicht möglich gewesen, wenn ein 47-Jähriger an einer Tür wie der des Berghain steht.
02.07.2009 | zitty
Foto: Robert Lebeck