Franziska Klün

Von Pilgern und Pfauen

Lufthansa Exclusive: Was muss, was darf, was kommt, was verschwindet? Auf der wichtigsten Männermode-Messe der Welt, der Pitti Uomo in Florenz, haben wir den Designer und Stil-Experten T-Michael zu Geboten, Verboten und goldenen Regeln befragt

Sandfarbene Rollkragenpullover und Kamelhaarmäntel. Anzüge aus grauen Tweedstoffen. Lederschuhe in dunklen Brauntönen. Wo sind eigentlich die berühmten „Pfauen“ der Pitti, wo ihre leuchtenden Farben und auffälligen Muster? Es ist Messe in Florenz, und die Stadt befindet sich, trotz farblicher Zurückhaltung, im ästhetischen Ausnahmezustand. Mehr als 1000 Marken präsentieren auf der 89. Pitti Uomo auf dem historischen Gelände der Fortezza da Basso die Mode für den kommenden Herbst und Winter, während vor den Hallen und in den Gassen die Besucher das halbjährlich stattfindende Branchentreffen in ein Spektakel verwandeln. Ob Einkäufer, Designer oder einfach nur Anhänger des Dandytums – wenn die Pitti Uomo ruft, die wichtigste Männermodemesse der Welt, holt jeder den feinsten Zwirn aus dem Schrank. Dann reisen Street-Style-Fotografen aus der ganzen Welt an und fangen ein, was Mann jetzt so trägt. Und das ist deutlich weniger farbenfroh, gemustert und nach Aufmerksamkeit kreischend als in den vergangenen Saisons. Nur hier und da erstrahlt das kräftige Pfauenblau noch, vorwiegend in Mantelform.

„Willkommen im Zentrum der Pitti!“ Mit diesen Worten begrüßt uns T-Michael, graues Zottelhaar, große, dunkle Brille. Der Designer und Stilexperte ist eines der bekanntesten Street-Style-Gesichter von Florenz, mit „Norwegian Rain“, seinem Label für elegante Regenmäntel, stellt er zum achten Mal auf der Messe aus. Wir sind zum Flanieren verabredet, zum Stil- und Trendgespräch, auch zur Pfauenschau. Es ist, als würde man einen Superstar begleiten.

Alle wollen ein Foto von oder einen Handschlag mit T-Michael. Er findet dennoch die Zeit für ein paar einführende Worte zu unserem Treffpunkt zwischen den Messehallen: „Man nennt diesen Ort auch ,die Piazza di Pitti‘, denn hier schlägt das Herz der Messe. Für alle, die nicht Teil des Schauspiels sind, mag es lächerlich wirken, wie sich die Männer hier versammeln und darauf warten, fotografiert zu werden. Doch sie alle teilen eine große Leidenschaft. Man putzt sich heraus, wenn man in Florenz auf seinesgleichen stößt. Das hat etwas von einer Pilgerfahrt. Man kann darüber denken, was man will, aber die Leute amüsieren sich prächtig!“ Wir schlendern los und begreifen schnell: Der Pitti-Star ist auch ein Interview-Profi. Nach jeder Begrüßung, jedem Foto, jeder Pause, und davon gibt es einige, führt T-Michael seine Sätze exakt da weiter, wo er unterbrochen worden war. Er spricht druckreif in feinstem Oxford-Englisch.

Vor acht Jahren gründeten Sie in Bergen zusammen mit Ihrem Partner Alexander Helle das Label Norwegian Rain, raffiniert designte Regenmäntel aus japanischen Hightech-Stoffen. Doch schon zuvor waren Sie mit Ihrem eigenen Label als Männermode-Designer aktiv. Was zog Sie in die Mode?

T-MICHAEL: Kleidung mochte ich schon immer. Es ist meine Art, der Welt zu erzählen, wofür ich stehe. Ich wollte einem Beruf nachgehen, der mir Spaß macht, deshalb bin ich Schneider geworden. Wenn ich eine Kollektion mache, dann in erster Linie für mich, alles basiert auf meinem Stil. Ich weiß nicht, was andere Leute wollen, aber ich weiß, was ich will.

Und was wollen Sie genau?

Mich wohlfühlen. Meine Kleidung bereitet mich auf den Tag vor, sie ist meine Uniform.

Wie sieht die aus?

Ein tailliertes Sakko aus brauner Wolle, der unterste Knopf geöffnet, darunter ein weißes Hemd, dicke Silberringe und Armreife. In die schwarzen, knöchelhohen Lederboots ist die Hose mit Bügelfalte grob hineingesteckt. Klassisch muss es sein, stets durch kleine Details gebrochen – für die Lässigkeit.

Woher kommt die neue Lust der Männer, sich selbst zu präsentieren?

Lange sollten Männer einfach nur männlich sein, sie sollten sich nicht um ihren Look scheren. Dabei hat auch jeder Mann eine weiche, femininere Seite. Mittlerweile ist es vollkommen okay, diese zu zeigen. Die Frage lautet: Was bedeutet Maskulinität heute? Die Antworten darauf haben sich verändert. Heute zeigen Männer Emotionen durch das, was sie sagen und tun, und durch ihren Stil. Selbst extrem konservative Männer investieren mittlerweile Zeit in ihre Kleidung und wollen sich im bestmöglichen Licht zeigen. So war die Entwicklung der letzten zehn Jahre, und das wird so weitergehen. Warum sollte es sich auch wieder ändern, wo man einmal Gefallen daran gefunden hat?

Klingt nach einer großen Befreiung …

Das ist es auch! Man kann ein pinkes Shirt anziehen und kassiert keine blöden Sprüche mehr. Es ist ein Grundbedürfnis der Menschen, sich selbst auszudrücken. So verstehen andere, wie wir ticken. Drückt man sich nicht aus, unterdrückt man sich selbst. Auf der Pitti Uomo unterdrückt niemand sich selbst. „Sprezzatura“ nennt man das, was die Outfits hier so einmalig macht: das gewisse Etwas, das einen im Grunde klassischen Look so mühelos wirken lässt. Die Männer sitzen gut gelaunt mit Sonnenbrillen auf den Mauern um die Piazza di Pitti, eine Zigarre im Mund. Sie tun so, als würden sie das Treiben beobachten, dabei geht es vor allem darum, selbst beobachtet zu werden. Die „Pitti Peacocks“, wie man die Poseure auch nennt, verbreiten klare Botschaften: Die Bärte werden wieder kürzer, genauso wie die Hosen. Schmale Schnitte mit 3/4-Längen liegen im Trend, die Hosen sind aus feinen Wollstoffen, darunter trägt man einfarbige Socken in allen erdenklichen Farben, von Dunkelrot bis Knallgelb. Man sieht weniger Sneaker – und wenn, sind sie weiß –, dafür jede Menge Rollkragenpullover, darüber trägt man ein Sakko oder, ganz wichtig in der
nächsten Saison, einen eleganten, knielangen Wollmantel.

Finden Sie auf der Messe Inspirationen für Ihre Kollektionen?

Bei der Pitti hat jeder eine Geschichte zu erzählen, jeder gibt sich Mühe. Aber was man hier sieht, hat mit der Welt da draußen nichts zu tun. Die Messe funktioniert wie eine Subkultur. Es geht nicht darum, Dinge zu finden, die man dann kopiert. Natürlich gibt es HighStreet-Brands, die genau das machen – sie sehen hier die Mäntel aus ausgewaschener Wolle, die gerade alle tragen, und benutzen das für ihre Moodboards. Würde ich so arbeiten, wäre ich viel zu spät dran.

Die Mode wird eindeutig ruhiger. Was haben Sie noch beobachten können?

Man sieht viele Männer, die ihre Mäntel sehr eng, sehr tailored tragen. Es geht um die perfekten Passformen. Doch auch wenn der Anzug maßgeschneidert ist, muss er nicht langweilig sein. Er kann pinkfarben sein oder wird mit einem Vintage-Jackett kombiniert. Essenzen traditioneller Mode werden ins Jetzt übertragen, dabei entstehen großartige Looks.

Man erzählt, Sie würden Kunden abweisen, die sich einen Mantel bestellen, der ihnen eigentlich zu groß ist – was ist so schlimm am Schlabberlook?

Man sollte auf seine Proportionen achten! Was ich trage, ist auch oversized. Wenn ich Designer bei irgendeiner Modekette wäre und die Leute, die meine Sachen kaufen, diese anders trügen, als ich mir das gedacht habe, wäre mir das egal. Dann fällt das nicht auf mich zurück, sondern auf den Stil des Käufers. Da meine Sachen aber einzigartig sind, weil es nicht viele davon gibt, darf es nicht passieren, dass jemand meine Kunden anschaut und denkt, was der trägt, sitzt komisch. Denn das fällt nicht auf seinen Stil zurück, sondern auf mich, und es würde meinem Business mehr schaden, als es ihm nützt.

Wie sehe ich, ob die Proportionen stimmen?

Man sollte vor allem wissen, wie man aussieht. Man braucht ein Gefühl für sich. Wie groß ist man, wie ist der eigene Körperbau? Manche haben ein Gespür dafür, andere brauchen vielleicht einen Ratgeber. Wenn man Kleidung kauft, sollte man aufpassen: Passt das Teil an meiner Hüfte, passt es an meinen Schultern? Ist man klein, sollte man keine Baggy Pants tragen, die schrumpfen einen. Dann sollte es darum gehen, den Körper optisch zu strecken. Denke zunächst an deine Proportionen, dann diktiert dein Geschmack, was du trägst.

Was sollte zwingend in jedem Kleiderschrank eines Mannes hängen?

Ein strahlend weißes Hemd! Das ziehe ich an, und ich bin fertig für den Tag. Und ein marineblauer Anzug. Marineblau passt immer.

Was ist überbewertet in der Mode?

Gürtel. Ich verstehe das Prinzip Gürtel nicht.

Aber alle tragen Gürtel.

Gehen wir mal in die Historie zurück: Gürtel wurden erfunden, weil Menschen sich gegen maßgeschneiderte Hosen entschieden. Vorher hatte man Hosen, die passten wie Schuhe, man hatte verstellbare Riegel zum Nachjustieren. Als Ready-to-wear aufkam, brauchte man Gürtel, weil die Hosen oben gehalten werden mussten. Heute ist es anders, da kauft man Gürtel farblich abgestimmt zu den Schuhen und zum Schmuck, aber man braucht sie nicht. Viele werden sicher protestieren, aber ich finde, man sollte sich Hosen kaufen, die passen.

Fedora, Trilby, selbst Zylinder – alle tragen Hüte. Ist der Hut der neue Bart?

Ein Hut ist ein sehr schönes Mittel, dem eigenen Stil etwas Eleganz hinzuzufügen. Doch gibt es kaum ein anderes Accessoire, das auf so viel Kritik stößt.

Woran liegt das?

Hüte schüchtern die Menschen ein. Es ist das Prinzip der Krone: Man setzt sich etwas auf den Kopf und denkt, man sei besser als die anderen. Dabei sind Hüte klasse. Also leg den Gürtel ab und setz den Hut auf!