Franziska Klün

Tüfteln ist Gold

Dezember 2015 | Lufthansa Exclusive: Wellendorff ist der Tech-Hub unter den deutschen Schmuckherstellern: An kleinen Design-Veränderungen arbeiten Goldschmiede oft jahrelang

Türklingeln ohne Namensschilder, Kameras, schwere Gittertore. Wer das Erfolgsgeheimnis des Familienunternehmens Wellendorff verstehen will, reist an die Enz nach Pforzheim. Solch eine Manufaktur muss gut gesichert sein, Gold und Brillanten liegen hier schließlich herum wie anderswo Stifte und Papier. Für den Besucher ist alles perfekt organisiert, jedes Detail im Ablauf durchdacht. Bei einer Manufaktur, deren Produkte makellos sein sollen, überlässt man auch solche Dinge ungern dem Zufall.

Die Wellendorffs – das sind die Brüder Christoph, 51, und Georg, 48, sie leiten das 1893 gegründete Unternehmen heute in vierter Generation, Georgs Frau Claudia, 47, ist für Marketing zuständig. Auch Hanspeter Wellendorff, 79, Vertreter der dritten Generation, mischt noch mit, wenn ihm der Sinn danach steht. Das Unternehmen veröffentlicht grundsätzlich keine Umsatzzahlen, „für uns stehen stets das Produkt und die Kundin im Vordergrund, nie die Zahlen“, erläutert Georg Wellendorff. Dass die Familie sehr erfolgreich ist mit ihren Produkten, lässt sich auch so erkennen: 15 eigene Boutiquen betreibt das Unternehmen in sechs Ländern, weltweit arbeitet Wellendorff mit 120 PartnerJuwelieren
zusammen. Von Tokio bis nach Las Vegas lieben die Frauen die Ringe, Armbänder und Colliers.

Wer die besten Mitarbeiter hat, das edelste Material einsetzt und die beste Technologie benutzt, erhält auch den besten Schmuck – das soll Firmengründer Ernst Alexander Wellendorff einst seinen Nachfolgern geraten haben. Das Prinzip gilt weiterhin. „Wer bei uns arbeitet, sollte sich auch für die Technik hinter den Produkten begeistern“, sagt Georg Wellendorff heute. Was das alltäglich bedeutet, wird den Mitarbeitern von den Wellendorffs selbst vorgelebt. Das gesamte Firmensortiment stützt sich auf lediglich zwei Fertigungstechniken: ein Ring mit einem drehbaren Mittelteil aus Kaltemaille, den Georg und Christoph Mitte der neunziger Jahre erfanden. Und die berühmte Kordelkette, der große Hit der Marke, deren Entwicklung Hanspeter Wellendorff Mitte der siebziger Jahre viel Geduld abverlangte.

„Meine Frau Eva spielte als kleines Kind oft mit den Kordeln der Vorhänge im Haus ihrer Großeltern. Nach unserer Hochzeit sagte sie zu mir, sei so gut, mach doch mal eine Kordel in Gold“, erinnert sich Hanspeter Wellendorff. Zuerst sträubte er sich, „ich hatte andere Dinge im Kopf als den Anregungen einer jungen Dame sofort nachzugehen – aber sie war recht penetrant.“

Also wagte er sich eines Tages doch an die goldenen Kordeln heran. Inspiration fand er bei den Etruskern: Das antike Volk wusste bereits vor 2600 Jahren feine Golddrähte zu Zöpfen zu flechten. Sie verzierten damit unter anderem Schwerter, die als Grabbeigaben dienen sollten. Jahrelang feilte man im Hause Wellendorff an einer entsprechenden Technik, „bis wir irgendwann eine Kordel entwickelt hatten, die nicht die Haare auffrisst, die flexibel ist und sich anfühlt wie ein Stück Stoff“, erzählt Hanspeter Wellendorff. Seitdem entsteht dieses goldene Kunststück, indem fingerdicke Goldstränge so lange gewalzt und gezogen werden, bis hauchdünne, nahezu 2000 Meter lange Fäden daraus werden. Diese werden auf einer Spindel zu Spiralen geformt und später geflochten. Dazwischen liegt ein Schritt, der als das am besten gehütete Geheimnis des Unternehmens gilt: Der kleine Innenraum der spiralförmigen Fäden wird mit einer Goldlegierung gefüllt. Bei den Wellendorffs sagt man, in diesem Moment erhalte jede Kette ihre Seele. Wie das magische Werk genau funktioniert, wird natürlich nicht verraten. Am Ende ist jede Kordelkette ein verblüffendes Unikat, eine filigrane Handarbeit, die ungeheuer geübte Fingerspitzenarbeit und viel Konzentration verlangt.

Jahrelang an einer Entwicklung zu sitzen, und sei es nur an der eines einzigen technischen Kniffs, gehört bei Wellendorff zum Alltag. Vor einigen Monaten hat das Unternehmen eine neue Verschlusstechnik für seine Armbänder lanciert, vier Jahre hat der zuständige Mitarbeiter an der fast unsichtbaren Faltschließe gearbeitet. „Perfektion erfordert eben viel Geduld“, sagt Georg Wellendorff. Er glaubt, dieser Drang zu technischem Fortschritt liegt den Menschen im Südwesten Deutschlands im Blut. „Hier gibt es diesen Tüftler-Charakter. Firmen wie Mercedes-Benz, Bosch, Porsche, und damit viele große Erfindungen, kommen von hier“, weiß Wellendorff. Heute würden die meisten Schmuckdesigner alles ausschließlich am Computer entwerfen wollen. „Das geht bei uns nicht. Für unsere Techniken braucht man auch Erfahrung, man muss wissen, wie man das Gold formen kann – dafür braucht man dieses gewisse Tüftler-Gen“, erläutert Georg Wellendorff.

Stolz erzählt er von einem seiner Goldschmiede, mit dem er eines Tages zusammensaß, es ist schon einige Jahre her. Eine Kundin hatte ihre Kordelkette zu ihnen nach Pforzheim gesandt, an einer Stelle hatte die Kette einen kleinen Knick, sie war in die Tresortür der Besitzerin geraten. Just in dem Moment, da sie beide auf die Kette blickten, fiel ein Sonnenstrahl auf die geknickte Stelle, das Licht wurde gebrochen, es funkelte und glänzte. „Das sah toll aus“, schwärmt der Firmenchef. Jahre später kam der Goldschmied auf ihn zu. Er sagte, ihn hätte das nicht mehr losgelassen, er hätte jetzt eine Technik entwickelt, wie man diesen Effekt auf das Gold übertragen könne. Das war die Geburtsstunde des Kettenmodells „Sonnenstrahl“. „Oft werden Dinge bei uns von Einzelnen angestoßen, es sind Ideen wie kreative Blitze“, sagt Georg Wellendorff, und „wenn andere sagen, das geht nicht, werden wir wach.“