Wer den Ball hat wird angegriffen
Juli 2013 | JNC News: Warum er nicht der Chef eines Wanderzirkus sein will, sein Unternehmen kein Damenkegelverein ist und es in der Mode wie im Fußball zugeht, erklärt Bread & Butter-Chef Karl-Heinz Müller.
Herr Müller, Ihre 29. Veranstaltung geht zu Ende. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie zufrieden sind Sie mit der Messe?
In Anbetracht der Zeiten: fast eine 10. Wir haben vieles richtig gemacht. Leider hat der Wettergott bei der Eröffnung nicht mitgespielt, wir mussten das Gelände evakuieren, nachdem der Blitz in unsere Brandmeldezentrale eingeschlagen hat. Dafür feiern wir heute eine größere Closing-Party.
Heute sprechen Sie von den Zeiten, auf der Pressekonferenz fiel mehrmals der Satz: “Es ist einiges in Bewegung”. Noch mal zusammengefasst, wie sind die Zeiten, Herr Müller?
Die Zeiten sind schwierig und der Markt ist brutal in Bewegung. Es ist ungefähr 15 Jahre her, da habe ich mir eine Dokumentation über das World Wide Web angeschaut, in der man versuchte zu erklären, was passieren wird, wie das Netz die Welt verändern wird. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, wie schnell die Veränderung kommen wird. Heute liegen unsere Devices hier auf dem Tisch und jegliche Information, die wir möglicherweise brauchen könnten, erhalten wir zu jeder Zeit. Wir mussten in sehr kurzer Zeit sehr viel lernen, über den gesamten Online-Sales-Bereich, darüber, dass jede Modenschau sofort im Netz landet und noch viel schneller in den Geschäften der Vertikalen, die sich nach keinem Einkäufer richten müssen. Der Kopist wird schneller als der Founder und der Founder wird plötzlich zum Kopisten. Das ist die große Bewegung und alles andere sind Auswüchse davon.
Wie zum Beispiel?
Wie zum Beispiel Online-Sales mit teils unmoralischen Angeboten, mit monatelangen Rücksendungsrechten. Die Päckchen werden gebracht und wieder abgeholt, manche versprechen noch am selben Tag die Ware zu liefern – alles steht jedem ständig zur Verfügung. Darauf, gepaart mit der angespannten wirtschaftlichen Situation, müssen sich Handel, Industrie und auch Bread & Butter einstellen. Wir stehen vor jeder Menge Herausforderungen.
Wenn wir schon bei den Auswüchsen dieser Herausforderungen sind: Sie haben der dänischen Gruppe Bestseller eine ganze Halle zur Verfügung gestellt, der Claim der Bread & Butter wurde von “tradeshow for selected brands” in “tradeshow for successful brands” geändert, außerdem bezahlen einige Besucher 500 Euro Eintritt seit dieser Veranstaltung. Viele befürchten, die Messe verliere nun ihr Gesicht. Wo steht die Bread & Butter?
Im Zuge dieser Messe wurde ich wegen verschiedener Dinge attackiert. Aber in der Mode ist es wie im Fußball: Wer den Ball hat, wird angegriffen. Die Messe verliert nicht ihr Gesicht. Wir müssen unseren Weg gehen, ohne es jedem Recht machen zu wollen. Und wir müssen am Puls der Zeit sein, mit dem Markt gehen und uns den Entwicklungen anpassen. Eine der wichtigsten Entwicklungen ist nun mal der Status Quo des Einzelhändlers. Was der heute alles leisten muss, um erfolgreich zu sein, ist nicht mehr zu vergleichen mit der Situation vor einigen Jahren. Jedem, der mich dafür angreift, dass ich mit erfolgreichen Marken zusammenarbeite, mit „successful brands“, gebe ich den Tipp, sich ein paar Tage in den Handel zu stellen, und zu sehen wie das ist, wenn kein Kunde hereinkommt, es regnet und die Menschen nur mit Primark-Tüten am Schaufenster vorbeiziehen. Ein Händler braucht Marken, die er verkaufen kann.
Und weil Bestseller verkauft, ist die Gruppe nun hier?
Bestseller arbeitet wie Marc O’Polo in einem dualen System: Die Gruppe hat 3.000 eigene Geschäfte und Franchise-Partner und außerdem 12.000 Einzelhändler in 53 Ländern, die sie im Wholesale bedienen. Und damit ist doch eines klar: Gäbe es Bestseller nicht, würde es vielen Einzelhändlern nicht gut gehen. Ich bin verantwortlich für die Messe, und wir gestalten diese so, wie wir denken, dass sie den Händlern nützt. Bestseller war schon früher mit einigen Marken auf der Bread & Butter präsent, aber ich habe mich nicht groß mit der Gruppe befasst. Als wir uns erstmals vor einigen Monaten zusammengesetzt haben, hatte ich sofort ein gutes Gefühl. Hinter dem Namen verbirgt sich ein erfolgreiches Familienunternehmen, das sich im Vorfeld der Messe enorm viele Gedanken um die Gäste gemacht hat: Wie kommen sie her, wie kommen sie weg, wie bewirten wir sie? Genau diese Bemühungen entsprechen den unsrigen, wir machen auch ein Restaurant mit Tim Raue, einen schönen Luna Park. Ich habe vorher ihre Pläne gesehen, ich wusste, was sie vorhaben. Dennoch, als ich erstmals in der Halle war, das Ergebnis sah mit den Gästen darin, war ich sehr positiv überrascht. Ich bin froh, dass sie da waren.
Die Reaktionen auf die neue Eintrittspolitik sind sehr gemischt: Während manche sagen, dass die Messe durch die geringeren Besucherzahlen nun viel fokussierter sei, fehlt anderen die Mischung, die sie auch als inspirierend empfanden. Was sagen Sie zu diesen Einwänden?
Das mag sein, dass ein wenig Crowd fehlt, die Hektik, da müssen wir uns vielleicht etwas überlegen. Grundsätzlich aber ist eine Messe dafür da, dass die Marken ihre Kollektionen dem Fachhandel vorstellen und der Einkäufer einen Überblick erhält. Aufgrund der Stärke und der Internationalität der Bread & Butter, wurden wir mit der Zeit zu einer Börse für Stoffhändler, für Makler, die in irgendwelchen Einkaufscentern Flächen vermieten wollten, für Head Hunter und ganz unterschiedliche Messeformate, die sich hier inspirieren ließen. Kurzum: es kamen immer mehr Menschen, alles musste größer werden, kostete mehr – und immer mehr Besucher hatten mit dem wahren Business nichts mehr zu tun. Vor einem halben Jahr habe ich entschieden, dass das nicht mehr geht. Ich bin nicht der Nikolaus und wir sind hier auch kein Damenkegelverein, sondern ein professionelles Wirtschaftsunternehmen. Viele sprechen mich nun auf den Ständen darauf an und sagen: das war ein guter Move, Karl-Heinz. Wir konnten in Ruhe unser Business machen und wurden nicht ständig unterbrochen. Für mich heißt das: Es war die richtige Entscheidung.
Bei der nächsten Messe soll Berlin im Fokus stehen. Müssen Sie noch immer betonen, dass Sie am richtigen Ort sind?
Das liegt an unserer Historie, wir waren in Köln, in Berlin, in Barcelona – nun wieder in Berlin. Im Gedächtnis der Menschen ist die Messe so etwas wie ein Wanderzirkus. Der Zigeuner aber hat sich niedergelassen. Vor zehn Jahren kam die Bread & Butter nach Berlin, davor war hier nichts. Das ist nicht viel Zeit, um im Modegeschäft etwas zu etablieren. Nun ist Mode nicht ganz einfach zu definieren: Ist Mode Chanel? Sind es die großen Schöpfer dieser Welt? Und was haben wir hier in Berlin? Ich bin der Meinung: Hier tobt das Leben, hier ist Lifestyle. Und darum geht es bei der Zielgruppe unserer Messe. Alle, die von außen anreisen, finden Berlin unheimlich toll. Nur wir Deutschen wir reden uns noch ein, dass nun wieder etwas anderes kommen muss. Manchmal denke ich: Der Prophet ist im eigenen Land nichts wert. Es wird zu viel rumgemeckert.
Also wird die nächste Veranstaltung ein Statement Pro Berlin?
Auch wenn der Flughafen noch nicht fertig ist, die S-Bahn manchmal nicht pünktlich ist, haben wir hier eine tolle Stadt mit einem Bürgermeister, der sich für die Mode stark macht – wie besonders das ist und dass wir deswegen auch nicht wieder weg gehen, möchte und muss ich nochmal betonen, ja.
Worüber haben Sie sich in den vergangenen drei Tagen am meisten gefreut?
Über das DJ-Set von Boy George zum zehnjährigen Geburtstag von Eleven Paris im Luna Park.
Worüber am meisten geärgert?
Über das dumme Geschwätz von vielen, die nur peripher damit etwas zu tun haben.
Die größte Überraschung?
Der gelungene Auftritt von Bestseller.
Das schönste Kompliment?
Viele Aussteller haben sich bedankt, dass ich ihnen die Bude sauber gehalten habe und sie in Ruhe mit ihren Einkäufern arbeiten konnten.
Was hat gefehlt?
Ich vermisse viele südeuropäischen Marken und Besucher, die früher verstärkt bei uns waren und es momentan aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht können.
In einem Satz: Was haben Sie gelernt?
Wir müssen unseren eigenen Weg gehen, ohne darauf zu achten, was die anderen sagen.
August 2013 | JNC News