Franziska Klün

Zum letzten Mal geschlossene Gesellschaft

Januar 2014 | Zeit Online: Als erste Modemesse überhaupt öffnet sich die Bread & Butter im Juli für Konsumenten. Muss das sein? Und kann das gut gehen?

Die Scheinwerfer sind aus. Dort, wo in den vergangenen Tagen perfekt gestylte Models über die Laufstege stolzierten und Hunderte Kollektionen auf teils spektakulär inszenierten Messeständen der Modepresse, Bloggern und Händlern präsentiert wurden, schieben sich nur noch die Gabelstapler hin und her. Die Modewoche ist vorbei. Wie immer und doch ganz anders steht jetzt die Frage im Raum: Was bringt die nächste Saison?

Denn Anfang Dezember erreichte die Berliner Modewelt ein offener Brief wie ein Paukenschlag. Verschickt hatte ihn Karl-Heinz Müller, Chef der Messe Bread & Butter. „It’s time for a change“, waren die Worte, die der Macher der weltweit wichtigsten Messe für Street- und Urbanwear als Einstieg wählte, um dann lang und ausführlich und nicht ohne Pathos zu erklären, warum er seine Veranstaltung ab kommenden Sommer für jeden zugänglich machen wird.

Die Tragweite dieser Ankündigung erklärt sich nicht auf Anhieb. Messen mit Publikumstagen sind in anderen Branchen längst etabliert, die Frankfurter Buchmesse und die Internationale Funkausstellung bitten auch den Endverbraucher in ihre Hallen. In der Mode aber war der Konsument bislang schlichtweg unerwünscht, ob auf Messen oder bei Schauen. Zu groß war die Angst vor Kopisten. Auch werden hier dem Handel ja jene Kollektionen präsentiert, die erst in der übernächsten Saison in den Geschäften hängen. Zu kaufen aber gibt es nichts.

Nun will Karl-Heinz Müller seine Bread & Butter in ein Festival für jeden verwandeln, eine Art Woodstock der Mode, mit Bühnen, Konzerten und viel Tamtam. Die Trendsetter sollen kommen, die Fashion Victims und Denim Nerds. Aus der ganzen Welt lädt Müller alle Modeinteressierten nach Berlin ein, damit sie schon ein Jahr im Voraus erfahren, worauf im kommenden Winter gespart werden muss, damit sie Inspirationen sammeln und die obligatorischen Goodie Bags. Nebenbei sollen der Bankangestellte und die Bäckerin Konzerte hören, Cocktails schlürfen, ihresgleichen treffen. 25 Euro wird ein Ticket kosten, die Bread & Butter dafür um zwei Publikumstage verlängert.

Die Partys ausschweifend, die Promis zahlreich

Aber gibt es eine so modeinteressierte Masse überhaupt, wie man sie bräuchte, um auf dem gigantischen ehemaligen Flughafenareal eine Festivalatmosphäre zu kreieren? Viele Aussteller sind skeptisch. Müller nicht. „Die Sache ist doch ganz einfach: Wenn etwas attraktiv ist, kann man sehr viele Menschen anziehen. Wenn etwas langweilig ist, nicht. Von nun an wird es nicht nur darum gehen, was wir von der Bread & Butter alles bieten, sondern auch darum, was die Marken bieten“, sagt der Messemacher.

Das Risiko, das Müller mit diesem Schritt eingeht, ist groß. Das passt zu ihm. Seit er 2001 die Bread & Butter ins Leben rief, gilt er als Querdenker. Damals startete die Veranstaltung als improvisierte Plattform für ein paar Marken, die sich etwas anderes für die Präsentation ihrer Mode wünschten, als das, was die recht angestaubten Düsseldorfer Messen Interjeans oder Igedo boten. Die Bread & Butter war eine Gegenbewegung. Hauptsache anders sein, überraschen, so lautete damals das Credo von Müller und seinen Partnern. Ein Erfolgsrezept, die Messe wuchs und wuchs, sie zog zwischendurch nach Barcelona und erregte 2009 viel Aufmerksamkeit, als sie als erster Mieter der Flughafen-Hangars von Tempelhof auch die Zukunft des Gebäudes bestimmte. Die Musik war immer laut, die Partys ausschweifend, die Promis zahlreich. Modegeschäft als Spektakel.

All das gibt es noch immer, doch die Zeiten, in denen die Messe knapp 100.000 Besucher in drei Tagen zählen konnte, sind vorbei. Schon lange ist die Rede davon, dass Karl-Heinz Müller Probleme hat, dass er mit dem Rücken zur Wand steht. In dieser Woche wurden zwei Hangars weniger gefüllt als noch im vergangenen Juli. Für viele langjährige Weggefährten der Bread & Butter ist die Plattform verzichtbar geworden. Die großen Aussteller von einst, wie Nike, Tommy Hilfiger, G-Star oder Diesel, kommen nicht mehr.

Die Gründe für die Probleme sind vielseitig. Seit der Finanzkrise sind die Besucher- und Ausstellerzahlen aus den so wichtigen Ländern Südeuropas drastisch gesunken. Auch hat mit der Rückkehr der Bread & Butter nach Berlin in der Stadt ein Wettbewerb begonnen, den Müller als ruinös bezeichnet. In der vergangenen Woche konnte jeder Fachbesucher neben zahlreichen Schauen insgesamt acht Modemessen besuchen. Das ist viel Auswahl für drei Tage.

Die entscheidenden Veränderungen aber wurden in den Chefetagen der Modeunternehmen beschlossen. Die sogenannten Vertikalen, also Modeunternehmen, die von der Produktion bis zum Laden alles in einer Hand halten, werden immer mächtiger. Zu H&M gehören mittlerweile auch die Marken COS, & Other Stories, Monki, Weekday und Cheap Monday. Hinter Inditex verbergen sich unter anderem Zara, Pull & Bear, Massimo Dutti und Bershka. Diese Textilgiganten erreichen heute alle – nicht mehr nur die, die aufs Geld achten müssen und trotzdem gut gekleidet sein wollen. Auch setzen immer mehr Marken auf exklusive eigene Geschäfte. Bei einem Streifzug durch die Alte Schönhauser Straße in Berlin-Mitte findet man Filippa K, Homecore, Marimekko, Flip Flop, Closed. Die gute alte Boutique aber, die unterschiedliche Marken führt, gibt es dort kaum noch.

Gibt es die modeinteressierte Masse überhaupt?

Nun funktionieren Modemessen aber so, dass die Labels hohe Standgebühren zahlen, um sich dem Einzelhandel zu präsentieren, alte Kunden zu treffen, neue zu gewinnen, auf sich aufmerksam zu machen. Dem Einzelhandel aber machen neben den genannten Ketten auch noch Onlineshops wie Zalando, Asos oder Net-à-Porter massive Probleme.

Müller musste etwas tun. Seiner Messe einfach dabei zusehen, wie sie schrumpft und an Relevanz verliert? Auf gar keinen Fall. Noch immer gilt die Bread & Butter als Zugpferd in der Berliner Messelandschaft. Von einer großen Veränderung war auszugehen, viele hatten wieder einen Standortwechsel erwartet, Istanbul wurde als Favorit gehandelt. Aber eine Öffnung für jeden? Das kam unerwartet, auch für die Marken. Conny Stöckl ist Marketing Managerin bei Lacoste und eine Ausstellerin der ersten Stunde. „Erst mal war ich sprachlos. Dann dachte ich: Das ist typisch Karl-Heinz Müller“, sagt Stöckl. Es sei ihm einmal mehr gelungen, die Branche aufzurütteln. „Alles muss sich bewegen, das gilt besonders für die Mode. Jetzt müssen wir uns alle Gedanken machen, wie wir die Endverbraucher für unsere Produkte begeistern können!“ Bei Lacoste hätten sie schon Pläne, gesprochen wird darüber aber noch nicht.

Das tut in diesem Januar noch keine der ausstellenden Marken. Wie auch sonst entscheiden die meisten erst in einigen Wochen, ob sie in der nächsten Saison wieder dabei sind. Viele sagen, sie vertrauten Müller zwar, dennoch seien sie skeptisch. Sie fragen sich, ob sich die zusätzlichen Personal- und Hotelkosten lohnen, für ein Publikum, von dem sie gar nicht sicher sind, ob es das gibt. „Ich kann noch nicht ganz nachvollziehen, warum ein Endverbraucher Hunderte Kilometer zurücklegen soll für etwas, das er nicht kaufen kann“, sagt Sabine Dellmuth, Deutschlandchefin bei dem Schuh- und Jackenhersteller Aigle. „Die Messe ist zwar international, aber wird ein ganz normaler Kunde dafür aus England anreisen?“

Denn das ist für Müller ganz wichtig: „Verkauft wird nichts. Aus Tempelhof wird kein Konsumtempel. Wir bereiten dem Einzelhandel nicht noch mehr Konkurrenz.“ Was die Marken im Juli von sich zeigen, wie sie sich präsentieren, sei jedem Unternehmen selbst überlassen. „Wir haben uns gefragt, wo ist der Markt in fünf Jahren, und wo in zehn? Und wie können wir den Marken eine Waffe in die Hand geben, mit der sie sich gegen die Vertikalisierung langfristig wehren können?“, sagt Müller. „Das geht nur, indem sie Begehrlichkeiten wecken, mit ihren Geschichten, ihren Philosophien, ihren Kollektionen. Sie müssen Spannung erzeugen.“

Wie Begehrlichkeiten geweckt werden könnten, deuteten einige Aktionen der letzten Saisons an. Auf dem Stand des Jeansherstellers Candiani Denim hatte im Sommer jeder Messebesucher die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Schnitten und Stoffen zu wählen und sich seine persönliche Jeans innerhalb von 45 Minuten nähen zu lassen, Nietenbesatz und Stickereien inklusive. Bei der Jeansmarke Mavi konnte man sich in der vergangenen Woche Shirts besprühen lassen, und der Lederwarenhersteller Ecco Leather gestaltete Taschen individuell. Für so ein Modezuckerl nahm selbst das Fachpublikum schon lange Schlangen in Kauf.

November 2014 | Zeit Online